06.09.2002

Interview mit Dr. Klaus Dierks, Windhoek/Namibia (Jürgen Leskien)

Aus Jürgen Leskien "Dunkler Schatten Waterberg - Afrikanische Nachtgespräche" Verlag Schwartzkopff Buchwerke, Berlin 2004

Ein Preuße im südlichen Afrika

Er hat wirklich die verlorengeglaubte Stadt der Kalahari entdeckt. Tief im südlichen Afrika. Vergilbte Papiere der Missionare über die Beschreibung einer steinernen Namafestung hatten ihn erst fasziniert, dann beunruhigt.

Damals, vor zwanzig Jahren, durchpflügte er das Land auf der Suche nach den Wegen der Ochsenwagengespanne. Eingekerbt in die Landschaft konnten die Jahrhunderte alten Verbindungen Fingerzeige sein für den Verlauf neuer Trassen und Brücken.

Kontraktingenieur Südafrikas auf Zeit, eingekauft für einen im Grunde üblen politischen Plan, war der Mann aus Berlin begierig auf die Erfahrungen der hier Geborenen, die sich als Fuhrleute durch Sand und Geröll gequält hatten, Jahre noch mit langen Eisen Steine aus der Spur kippten, die Furten an den Rivieren markierten, Wegmarken in die Felsen schlugen. Solchen Zeichen galt sein besonderer Blick.

Aber im Ingenieur steckte auch der Historiker, mit der geheimnisvollen Geschichte um Schans Vlakte, wie die Missionare die Gebirgsfestung nannten, im Kopf. Als Straßenbauingenieur hatte er gelernt, die Sprache der Steine zu deuten. Er suchte am Boden.

Vor dem geistigen Auge entstand ein erst unscharfes, dann deutlicher werdendes Bild vom versteckten Wohnplatz der Namas. Flog er mit Leuten wie Peer Look über die zerklüftete Bergwelt des Südens, verglich er seine Vision mit dem tatsächlichen Gesicht der Erde. Er suchte aus der Luft.

Wie oft mag er den Jubelschrei unterdrückt haben, wenn es doch nur ein Wolkenschatten, wieder nur der Schatten einer Bodenfalte im Licht der tiefstehenden Sonne war, der Konturen zeichnete, Formen vortäuschte, die es nicht gab.

Es war im Grunde seine Art zu leben, die ihn im unwegsamen Süden die verborgene Stadt IIKhauxa!nas dann doch noch finden ließ.

An einem kalten Wintertag im August konnte er notieren:

„Ich fand einen flachen Bergesrücken mit senkrechten Felswänden, die mehr als hundert Meter steil zu dem, hier immer Wasser führenden, Back Rivier abfallen. Der Back läuft hier in einer Schleife um den IIKhauxa!nas-Berg herum und schuf so, auch ohne die Stadtmauern am Rande des Abgrundes, eine fast uneinnehmbare, natürliche Festung."

Als wir uns im Coffee-Shop gegenüber dem alten Lüderitzer Bahnhof trafen, hoffte ich auch zu erfahren, welche letzte Spur ihn auf das Plateau, auf die Schans Vlakte, geführt hatte.

Aber erst einmal sprach er vom Dünensand auf den Gleisen und von den Experimenten der Ingenieure, den Sand am Wandern zu hindern. Wenigsten auf diesen vertrackten Kilometern zwischen Kolmannskuppe und Grasplatz.

Selbstverständlich werden wir eine Lösung finden, eine zeitgemäße, fügte er hinzu.

Selbstverständlich, ergänzte ich für mich im Stillen, er hat ja auch IIKhauxa!nas gefunden.

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INTERVIEW:

Dr.-Ing. Klaus Dierks

Jahrgang 1936, Diplom-Ingenieur, Historiker

 

Geboren bin ich in Berlin, in Berlin-Dahlem.

Ich muss sagen, es gab schon Familienvorfahren in Deutsch-Südwest-Afrika, vor dem Ersten Weltkrieg.

Bei uns zu Hause, so lange mein Vater noch lebte, er ist 1944 in Frankreich gefallen, war immer die Rede davon, wenn eines Tages die Kolonien wieder zum Deutschen Reich zurückkommen, dann geht mein Vater, der Jurist war, als Richter nach Deutsch-Südwestafrika.

Wir hatten eine recht reichhaltige Bibliothek zu Hause mit sehr vielen Büchern auch über Südwestafrika.

Ich wusste also schon als Kind sehr viel über dieses Land.

Dazu kam, dass ich immer schon außerordentlich fernwehbetroffen war und mich sehr für fremde Länder interessierte. Geographie, Geschichte und Mathematik waren immer meine besten Fächer in der Schule.

Das Fernweh war vielleicht auch das entscheidende Motiv dafür, dass ich, nach dem Abitur in Eichwalde bei Berlin, den Arbeiter- und Bauernstaat verlassen habe und nach Westberlin zum Studium ging.

In den Jahren meines Studiums in Westberlin, an der TU Berlin, habe ich schon sehr viele Reisen unternommen: Asien, Afrika, allerdings niemals bis Namibia.

In Asien war ich in sehr vielen Ländern. Habe auch an einigen Himalayaexpeditionen teilgenommen, in den 50-er Jahren.

Es war irgendwie logisch, dass sich alles auf dieses Land, auf Namibia zuspitzte.

Eines kam zum anderen.

1960 lernte ich meine Frau kennen, Karen von Bremen, deren Vorfahren aus dem Baltikum und Namibia kamen, dort Missionare waren. Schon vor 160 Jahren.

Dann kam dazu, dass ich als Assistent an der TU Berlin eine große Talsperre mit entworfen und die Modelle gebaut hatte, den Hardapdamm bei Mariental, Südwestafrika.

Damals kam der deutschstämmige Staatssekretär für Wasserbau, das war Dr. Otto Wipplinger, ein Südafrika-Deutscher, des öfteren nach Berlin, auch mit dem deutschstämmigen Ingenieur Stengel, vom südwestafrikanischen Wasserbauamt, die ich auf diese Weise recht gut kennen lernte.

Ich rede von Anfang der 60-er Jahre.

Als ich 1964 an der TU mein Diplom machte, suchte die südafrikanische Regierung für die Umsetzung ihres Odendaalplanes in Südwest Ingenieure. Der Odendaalplan, das war ein, wenn auch sehr rassistisch gefärbter und von der Apartheidpolitik diktierter Entwicklungsplan, mit dem auch die sogenannten schwarzen Heimatgebiete, die „Homelands", gefördert werden sollten.

In Südafrika fehlten Ingenieure, denn das Land war ja selbst in einer riesigen Aufbauphase, in den 60-er und 70-er Jahren. Ich wurde im Rahmen des Odendaalplanes von der Südwest-Administration angeworben, nach Südwestafrika zu kommen.

Ich bin mit meiner Frau 1965 dann auch nach Südwestafrika gegangen. Nicht zum Wasserbauamt, wie zunächst vorgesehen, sondern zum Straßenbauamt, weil die auch einen von diesen deutschen Ingenieuren haben wollten.

Dort wurde ich sofort in die Brückenentwurfsabteilung versetzt, weil mein Spezialgebiet der Entwurf von Brücken war. Und Wasserbau natürlich.

Ich habe sehr viele Abflussentwurfssysteme entwickelt, um in ariden Flusssystemen Wassermengen zu berechnen und die Brücken entsprechend zu entwerfen.

Ich kam also sofort in dieses Gebiet und ich muss sagen, ich war auf dieses Land sehr gut vorbereitet.

Ich kannte sehr viele Wüsten und Steppengebiete schon seit vielen Jahren in Asien und Afrika.

Dieses Land, das war Liebe auf den ersten Blick.

Wir sind jetzt fast 40 Jahre hier.

Ich glaube, ich habe in diesen Jahren niemals auch nur eine Sekunde nach Deutschland zurückgeschaut.

Was die Apartheid betrifft, damals, muss ich sagen, politisch war das Land für mich, als junger Ingenieur, völlig unbekannt.

In dieser Zeit, als ich noch sehr wenig wusste und auch der Rassismus mich ja eigentlich nicht berührte, da war ich eher konservativ eingestellt. Ich glaube, in Deutschland habe ich nur ein einziges Mal gewählt, das war eine Wahl Anfang der 60-er Jahre, da habe ich CDU und FDP gewählt mit meiner ersten und zweiten Stimme.

Ich habe mich nicht groß für die Politik in „Südwest" interessiert. Ich musste erst einmal lernen, ich musste mein Englisch aufbauen, weil ich ja in der DDR zur Schule gegangen bin. Meine erste Fremdsprache dort war Russisch, meine zweite war Englisch, die dritte war Latein. Englisch konnte ich dann weiter ausbauen im 13. Schuljahr in Westberlin - als ich das Westabitur nachmachen musste.

Ich musste ganz schnell Afrikaans lernen. Was ich auch in wenigen Monaten geschafft habe. Afrikaans war die Hauptsprache, von Weiß und Schwarz gesprochen.

Nach einem knappen Jahr wurde ich Leitender Ingenieur für die Region Otjiwarongo. Der Straßenbaubezirk Otjiwarongo, der sich damals von Walfvisbay bis zum Grenzfluss Kunene im Norden erstreckte, war flächenmäßig etwas größer als die damalige Bundesrepublik Deutschland.

Es war eine große Verantwortung.

Ich musste meine volle Energie darauf konzentrieren, ich musste mich auf neue Ingenieursstandarde einrichten.

Wir hatten damals noch das imperiale Maßsystem mit Pfunden (LBS) und Zoll (Inch) und Yards und Fuß (Feet), das musste ich ja alles lernen. Ich musste meine Brücken mit Pfund pro Quadratzoll berechnen. Das war für mich eine völlig neue Erfahrung.

Und es musste alles sehr schnell gehen. Unter diesen Bedingungen habe ich mich wenig für Politik interessiert. In die Politik kam ich erst sehr viel später.

Die Apartheid, so stellte sich bald heraus, das war der Alltag, war völlig greifbar.

Ich fand das höchst lächerlich, das habe ich auch immer gesagt.

Als ich nach Otjiwarongo versetzt wurde, nach einem knappen Jahr Aufenthalt in Windhoek, da hieß es schnell: der „rote Dierks", weil ich Kontakte mit Schwarzen hatte. Ich wagte es bei manchen Gelegenheiten auch einem Schwarzen die Hand zu reichen, zum Gruß. Das war ja damals ein totales Sakrileg.

Oder etwa zu Weihnachten, wenn man sich gute Wünsche zukommen ließ. Das war unsäglich, völlig daneben.

Damals gab es bei den Straßenbauingenieuren die Einrichtung des sogenannten „Agterryer". Das heißt auf Afrikaans, der „Hintendrauffahrer". Wir hatten jeepartige Kleinlastwagen und da hatte man immer einen schwarzen Helfer dabei, der auch beim Vermessen half, die Meßlatte halten musste oder eben die Instrumente getragen hat, der auch das Essen zubereitet oder das Bett in der Wildnis aufgeschlagen hat. Und dieser Mann, der hieß „Hintendrauffahrer",Agterryer, weil der hinten auf der Ladefläche des Lastwagens sitzen musste und nicht vorne auf dem Beifahrersitz, der dann im allgemeinen frei blieb. Bei mir war das natürlich niemals so. Bei mir fuhr der Agterryer natürlich neben mir. Auch das wurde mir angekreidet.

Ich wurde dann sehr schnell südafrikanischer Staatsbürger. Weil ich in diesem Land bleiben wollte und weil ich auch bürgerliche Verantwortung übernehmen wollte. Natürlich wollte ich als junger Mann auch befördert werden.

Ich war eigentlich sehr schnell als Ingenieur hoch angesehen.

Meine südafrikanischen Chefs, übrigens sehr liberale, sehr gute englischsprachige südafrikanische Ingenieure, wie Herr Lewis und Herr Williamson, die haben mir damals dringend geraten, südafrikanischer Staatsbürger zu werden.

Bei meiner ersten Wahl 1967 habe ich als Südafrikaner bereits die südafrikanische Opposition gegen die „Nationale Partei" gewählt. Das war das Linkeste, was es damals gab. Das war die sogenannte „United Party", die etwas liberaler war, als die „National Party", die natürlich voll die Apartheid unterstützte.

Ich habe die Apartheid nie sonderlich ernst genommen, aber ich war natürlich ein Nutznießer der Apartheid - wie alle Weißen. Ich konnte ja auch wenig daran ändern.

Unsere ersten Kinder wurden geboren, wir waren eine kleine Familie, wir hatten wenig Geld, wir mussten uns einrichten. Politik, das war meine letzte Priorität.

Wir waren auch nicht informiert.

Es gab damals weder UKW-Rundfunk, noch gab es Fernsehen, es gab nur den südafrikanischen Propaganda-Rundfunk auf Kurzwelle. An Zeitungen bekamen wir eigentlich nur die südafrikanischen Zeitungen und die außerordentlich konservative deutschsprachige „Allgemeine Zeitung" in Windhoek, die voll die Apartheid unterstützte. Der deutsche „Spiegel", den ich Jahrzehnte abonniert hatte, der kam mit einem guten Monat Verspätung über den Seeweg an. Da ich mir die Luftpostausgabe gar nicht leisten konnte. Wir waren nicht gut informiert.

Sie fragen nach dem offenen, kritischen Umgang mit der Apartheid: Den gab es nicht. Aber ich muss sagen, na ja, ich war damals Ende Zwanzig, Anfang Dreißig. Meine Frau war gerade mal zwanzig geworden. Ich muss sagen, nach Jahrzehnten politischer starker Arbeit, sehe ich das etwas beschämt.

Ich glaube nicht, dass mich das groß gestört hat. Irgendwie erschien es mir auch natürlich. Man sprach damals auch von der „getrennten" Entwicklung. Das war damals das große südafrikanische Schlagwort. Das fand ich sogar ganz logisch. Ich fand es logisch, dass eben jede Gemeinschaft für sich entwickelt werden sollte. Aber ich habe in meiner Naivität angenommen, dass es ernst gemeint war von der südafrikanischen Kolonialherrschaft. Ich habe eigentlich erst sehr langsam und sehr schmerzvoll erfahren, dass das eben nicht ernst gemeint war, sondern dass man nur die weiße Herrschaft verankern wollte.

Ich muss allerdings auch sagen, dass wir schon sehr früh auch in unseren kleinen Kindern die Achtung vor den Anderen geweckt haben. Unsere zweitjüngste Tochter, die ja nun heute auch schon Mitte 30 ist, sie lernte das Laufen in Benguela, in Angola. Wir sind oft nach Angola gefahren. In den Kolonialzeiten. Dort gab es eine völlig entkrampfte Haltung zu den Schwarzen. Da konnten zum Beispiel die Schwarzen in die Schwimmbäder rein. Das wäre in unserem Land eine Heiligtumsschändung gewesen, wenn in einem südafrikanischen oder südwestafrikanischen Schwimmbad Weiße und Schwarze im gleichen Wasser schwimmen. Das wäre ja unmöglich gewesen! Da wäre eher die Welt untergegangen, als das zuzulassen. Aber in Angola ging es und die Welt ging nicht unter.

Das hat uns stark berührt, dass es da eigentlich recht gut funktionierte, obwohl im kolonialen Angola auch viele Dinge im Argen waren und es schon einen sehr starken antikolonialen Widerstandskrieg gab, Anfang der 70-er Jahre.

Ich habe in dieser Zeit schon von der SWAPO gehört. Aber damals war die SWAPO für mich das, was durch die Propaganda uns jeden Tag eingehämmert hatte. Es war eine kommunistisch gesteuerte, teuflische, schwarze Widerstandsbewegung. Eine politische Bewegung, die jede Zivilisation zerstören würde, wenn sie jemals an die Macht käme. Und dass sie alle Weißen, im besten Falle, davon jagen würde. So hat man uns das erzählt. Und das hat man auch geglaubt, damals.

Die DDR spielte in meinen politischen Überlegungen keine Rolle, weil ich aus verschiedenen Gründen diesen Staat nicht sehr geschätzt habe.

Als ich 1955 als 19-Jähriger wegging aus der DDR, habe ich das auch sehr bewusst gemacht.

Weil ich frei sein wollte.

Weil ich mich nicht ständig bevormunden lassen wollte.

Weil ich auch studieren wollte. Ich war eben kein Arbeiter- und Bauernkind. Ich bin an der TU Dresden nicht angenommen worden, trotz eines erstklassigen Abiturs.

Aber im Unterbewusstsein hat die Erziehung im Osten doch schon eine Rolle gespielt, denn ich würde sagen, in diesen ersten Jahren in der DDR in den 40-er und Anfang der 50-er Jahre, da war der Sozialismus ja gar nicht so stark ausgeprägt in der Schule, zumal ich auf eine ausgesprochen bürgerliche Schule ging. In einem sehr bürgerlichen Vorort von Ostberlin, in Eichwalde. Der Abiturjahrgang 1955 aus Eichwalde, der hat sich ja auch zu siebzig Prozent nach Westberlin abgesetzt. Daraufhin wurde übrigens die Humboldt-Oberschule geschlossen. Und die Abiturstufe wurde nach Königs-Wusterhausen verlegt, aus diesem Grunde.

Als ich 1982 in die SWAPO ging, sah ich die DDR aus der Interessenlage Namibias heraus etwas anders. Ich war auch älter geworden. Die ökonomisch nicht sehr starke DDR hat der SWAPO sehr unter die Arme gegriffen. Die westdeutsche Bundesrepublik dagegen hat das südafrikanische Apartheidregime und das Kolonialregime hier in Namibia unterstützt. Ich habe mich damals kritisch von Westdeutschland abgewendet, versuchte ein anderes Verhältnis zur DDR zu bekommen. Einige Male bin ich als Mann der SWAPO nach Ostberlin gereist. Immer noch mit einem südafrikanische Pass vor der Unabhängigkeit Namibias. Von den DDR-Beamten bin ich sehr höflich behandelt worden, weil natürlich die SWAPO-Botschaft in Berlin -Wilhelmsruh immer dafür sorgte, dass ich am Grenzkontrollpunkt Friedrichstraße gut aufgenommen wurde. Sagen wir es so: Es war vielleicht eine Tragödie, dass die DDR keine Gelegenheit hatte, sich voll in die unabhängige Republik Namibia einzubringen. Es war ja plötzlich alles zu Ende, die Weltuhr hat anders geschlagen. Wenn man so will, lebt ein Stück DDR in jenen Leuten aus Namibia weiter, die im Osten Deutschlands studieren konnten. Das sind ziemlich viel Ingenieure, die an den Universitäten in der DDR waren. Mein eigener Staatssekretär, Dr. Peindgeondjabi Shipo, hat an der Verkehrshochschule Franz-List in Dresden studiert und dort auch promoviert. Er war mein erster Staatssekretär. Wenn meine weißhäutigen Beamten, die oft aus Südafrika kamen, wenn die nicht hören sollten, was wir zwei als Minister und Staatssekretär zu besprechen hatten, haben wir deutsch miteinander geredet. So war das.

Ich will noch einmal auf meine Oberschulzeit, auf meine DDR-Zeit, zurückkommen. Die Erziehung in Eichwalde , das sage ich auch mit dem Abstand der Jahre und dafür bin ich dem Schulsystem heute noch dankbar, sie war von einem tiefen Humanismus geprägt. Auch wenn dieses Grundanliegen der Erziehung hinter der realen Politik zeitweise verschwand. Ich glaube, dass diese mir dort vermittelte Haltung zum Menschen mich mein Leben lang begleitet hat. auch in meiner Relation zu den Schwarzen hier.

Schwarz, weiß, ich habe das immer völlig unverkrampft gesehen. Apartheid habe ich als unnatürlich angesehen. Man sprach ja damals von der „kleinen" Apartheid, die auch sehr viele vernünftige Weiße hier als lächerlich ansahen. Dass man einem Schwarzen nicht die Hand geben durfte, nicht in dem gleichen Geschäft an der gleichen Theke stehen durfte oder seine Briefmarken zusammen kaufen durfte mit Schwarzen. Das war die „kleine" Apartheid. Die wurde von vielen Weißen damals schon abgelehnt.

Aber die „große" Apartheid, dass war ja die Politik der getrennten Entwicklung, die haben die meisten eigentlich akzeptiert. Das galt auch für meine Person.

Alles war total getrennt. Es gab nur rein weiße Häuser, es gab praktisch nur Einzelhäuser oder Einzelvillen. Jeder hatte sein eigenes Haus. Ich hatte ein sehr schönes Regierungshaus, eben als Leitender Ingenieur. Das war reserviert, das stand mir zu. Schwarze konnten nur als Dienstboten in einer kleinen Nebenbude wohnen. Hinten auf dem Hof. Niemals im Haupthaus. Ich habe oft Lichtbilder-Vorträge gehalten, in der sogenannten „schwarzen" Vorstadt. In Orwetoveni, in der schwarzen Stadt von Otjiwarongo. Vorträge über Asien und andere Afrikaländer. Auch oft in kirchlichen Kreisen. Da kam der schwarze Pastor zu uns, sonntags, um sich zu bedanken. Ich weiß genau, den wollten wir dann mal bewirten zum Mittagessen, in unserem Esszimmer. Das hat der abgelehnt, er hat gesagt: Nein, das will er nicht und das ist er nicht gewöhnt und er bestand darauf, dass er höchstens mit uns in der Küche isst. So war das damals in Otjiwarongo.

Wir waren voll integriert in die Gesellschaft von Otjiwarongo, wir hatten viele Freunde, wir waren ja auch viel im Club. Da gab es also einen sozialen Club, der Otjiwarongo-Club, der natürlich rein weiß war. Die Schwarzen waren nur die Dienstboten, die machten sauber und bedienten das Bier hinter der Theke und servierten das Essen.

Es gab deutschen Karneval, es gab einen deutschen Männergesangsverein. Ich wurde vom Präsidenten des Rotary-Vereins gefragt , ob ich in diesen noblen Club eintreten wollte. Ich fühlte mich sehr geehrt, mit Anfang Dreißig in den Rotary-Club!, Ich dachte, prima und stimmte zu. Dann aber war es still um meine Aufnahme. Später habe ich gehört, dass, es mussten ja alle abstimmen, dass sich viele Leute gegen mich gestellt hatten, weil ich als Kommunist angesehen wurde in Otjiwarongo. Ich bin also in den Rotary-Club nicht aufgenommen worden, aus diesen Gründen.

Aber im Grunde war es eine sehr glückliche Zeit in Otjiwarongo, für uns persönlich. Eine junge Familie, wir haben aufgebaut, wir hatten keine Probleme.

Und ich hatte eine Riesenaufgabe.

ich war einmal in Deutschland während dieser Zeit. Das war 1968, als gerade die Revolution losging an den Universitäten, ich habe das miterlebt. Ich habe vor diesen „roten" Studenten Vorträge gehalten über Südwestafrika, aus meiner liberalen Sicht, aber auch eine Liebeserklärung an mein Land. Ich glaubte, die „1968er Studenten" sind außerordentlich liberal und fortschrittlich, und hinterher habe ich gehört, dass ich dort als totaler Rassist abgestempelt wurde, in Westberlin. Auch von Rudi Dutschke. Den ich da das einzige Mal bei einem meiner Vorträge kennen gelernt hatte.

Wir waren in Berlin und konnten sehen wie sich das Leben dort abspielte. Wie meine ehemaligen Studienkollegen lebten und wie unzufrieden und materialistisch sie alle waren. Unter welchen Zwängen sie auch alle arbeiteten. Ich aber war schon ein großer Chef und war gewöhnt, frei zu arbeiten. Ich hatte ein riesiges Arbeitsfeld in diesem Land.

Das ist ja der Grund, warum wir dieses Land lieben. Weil man erstens das Gefühl hat, man nimmt keinem anderen etwas weg, für jeden ist Platz, es sind die weiten Horizonte, die große Einsamkeit, die Endlosigkeit, das ständige Gefühl einer endlosen Freiheit, die man hier hat. Und das ist in Deutschland genau umgekehrt. Deutschland habe ich emotional damals völlig abgelehnt. Wir waren 1968 drei Monate dort und sind dann glücklich wieder zurückgekommen und es war mir völlig klar, das ich in Deutschland niemals Wurzeln hätte schlagen können. Das schloss den Osten ein.

Ich war zwischendurch über acht Jahre überhaupt nicht in Europa. Wir hatten gar nicht das Geld dazu. Es hat uns auch nicht interessiert.

Nach fünf Jahren Arbeit in Otjiwarongo wurde ich 1970 nach Windhoek versetzt und dort sehr schnell zum Chefingenieur befördert.

Und auch damals war ich noch unpolitisch.

Aber so langsam wurde ich etwas kritischer, auch gegenüber der Apartheid. Ich hatte die ersten Kontakte zu progressiven Weißen, die es in Otjiwarongo nicht gab. Damals habe ich mir zum ersten Mal kritische Gedanken gemacht, aber im Grunde war ich immer noch unpolitisch und habe grundsätzlich auch damals noch bis 1975 die große Linie der „getrennten Entwicklung Südafrikas" unterstützt. Obwohl ich die Nationale Partei der Apartheid nie gewählt habe. Ich habe immer die United Party, die Opposition, gewählt.

Wir fühlten uns auch sicher, damals waren wir fünfte Provinz, wir dachten, wir sind ein Teil Südafrikas, Südafrika ist ein mächtiges Land, da kann uns überhaupt nichts passieren. Außerdem, waren da ja noch Angola und Mosambik und Rhodesien. Das waren ja damals noch Festungen der weißen Minderheit, Verbündete Südafrikas. Außerdem waren wir ja verbündet mit den USA, Großbritannien, der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich - also wir fühlten uns völlig sicher.

Das einschneidende Erlebnis war im November 1975, als John Vorster, der südafrikanische Premierminister, nach Namibia kam und im Deutschen Sportclub, im SKW, dem Sportclub Windhoek, seine berühmte Rede hielt.

Jahrelang liefen vor den Vereinten Nationen die Bestrebung, dass Südwestafrika als Mandatsgebiet unabhängig werden sollte, mit freien, UN-überwachten Wahlen. Und damals zumindest ahnte ich schon, dass eine solche Wahl vielleicht von der SWAPO gewonnen werden könnte. Aber wir haben das alles nicht ernst genommen. Bis zu der Vorster-Rede 1975, im November. Das werde ich nie vergessen. Damals sagte Vorster, dass Südafrika niemals Anspruch auf Südwestafrika erhoben hätte, was natürlich eine glatte politische Lüge war, und dass Südwestafrika frei werden wird, unabhängig werden wird, aber natürlich nicht den Kommunisten und der SWAPO zum Fraß vorgeworfen wird. Damals ging eine Schockwelle durch die weiße Gemeinschaft. Und auch durch mich.

Und dann gab es 1975 die erste „Turnhalle"-Bewegung, und zum ersten Mal traf ich Schwarze. Auch gebildete Schwarze. Der erste, der 1975 aus dem Exil kam, von der SWAPO, das war Mburumba Kerina. Den habe ich damals kennen gelernt. Und wir haben gesprochen. Obwohl Kerina, was ich damals nicht wusste, zu der Zeit schon längst abtrünnig war von der SWAPO. Aber er trat hier als der große Freiheitsheld auf, so erlebte ich ihn.

Dann lernte ich bald sehr viel andere Schwarze kennen. Schwarze SWAPO-Politiker. Und dann wurde die „Turnhalle" gegründet, das war ja damals eine reine Apartheidsbewegung, das hat auch nichts zu tun mit der späteren Demokratischen Turnhalle Allianz (DTA). Die erste Turnhallen-Bewegung sollte als reine Apartheidbewegung Heimatländer schaffen. Die unabhängig sein sollten. So wie Luxemburg unabhängig ist von Deutschland.

Aber es waren Schwarze in der Politik und die hatten zum ersten Mal einen Status, die nahm man ernst und man konnte zum ersten Mal auch mit denen in ein Restaurant gehen, die wurden sogar bedient. Wenn vielleicht auch vielleicht zögerlich und auch nur in manchen Restaurants. Es geriet alles ins Rollen.

Damals gab es eine Reihe von liberalen, fortschrittlichen Deutschen, die sich Gedanken machten: Was ist unsere Rolle als Deutschsprachige in Namibia, in einem unabhängigen Namibia. Wir gründeten - und ich war mit Gründungsmitglied - damals im Jahre 1977 die „Interessengemeinschaft Deutschsprachiger Südwester". Als Gründungsmitglied wurde ich dann auch sehr schnell auf dem ersten Kongress zum Vorsitzenden von „Windhoek Stadt und Land" gewählt. So kam ich überhaupt in die Politik.

Die IG hat sich nie als Partei gesehen, sondern als eine reine Lobbybewegung, die sehr stark finanziert und unterstützt wurde von der Bundesrepublik Deutschland, von der CDU und der FDP. Ich habe damals sehr viele deutsche Spitzenpolitiker kennen gelernt, wie Hans-Dietrich Genscher, wie den ersten Gerhard Schröder, den Innenminister der CDU, Eugen Gerstenmeier. Und viel andere.

Als die IG sich mit der DTA verbündet hat, habe ich aus Parteidisziplin zur IG bei der DTA mitgemacht. Ich wurde sogar zum Ortsvorsitzenden der Republikanischen Partei für Klein-Windhoek gewählt. Nach zwei, drei Jahren habe ich gemerkt, dass die DTA im Grunde - weil ich nun Einblick hatte und auch eng mit Dirk Mugde, dem Parteiführer der DTA, zusammengearbeitet habe - dass die DTA real die schmutzige Arbeit der Südafrikaner gemacht hat. Und dass sie kein Interesse daran hatte, dass Namibia nach freien und demokratischen Richtlinien, mit freien Wahlen unabhängig werden sollte. Dazu kam, dass ich als Ingenieur zu viele schlimme Sachen erlebt hatte, im Norden. Der Krieg eskalierte Ende der 70-er Jahre, Anfang der 80-er Jahre. Wir hatten Zehntausende von südafrikanischen Soldaten hier. Das Land wurde außerordentlich militarisiert und brutalisiert.

Und so kam es dann, dass ich mich 1981,1982 innerlich von der DTA getrennt habe. Dann auch 1982 mit einem Riesenkrach ausgetreten bin, mich der SWAPO zuwandte und ihr beigetreten bin.

Folgerichtig reagierte der Staat.

Obwohl ich unkündbarer Beamter auf Lebenszeit war, wurde ich auf Basis eines neu geschaffenen Gesetz entlassen, saß von einem Tag auf den anderen auf der Straße. Das war damals sehr schwer, denn wir hatten vier Kinder. Zwei gingen auf die Universität, zwei gingen noch zur Schule. Es waren für uns auch wirtschaftlich harte Zeiten. Aber ich habe mich konsequent der SWAPO angenähert, habe dann für die SWAPO gearbeitet.

In der Zeit gründete ich mein eigenes Ingenieursbüro, wurde aber boykottiert. Das war 1987. Ich hatte zwar meine eigene Firma, „Namibia Consult Inc.", bekam aber keine Aufträge. Ich bekam nur Arbeit von den Kirchen, die mich unterstützten. Von allem die evangelischen Kirchen. Nicht von der deutschen weißen lutherischen Kirche, für die war ich als „SWAPO" ein Teufel in Menschengestalt. Aber von der schwarzen evangelischen Kirche, von der katholischen Kirche, von der Methodisten Kirche, von der Anglikanischen Kirche und natürlich auch von der SWAPO hier im Lande bekam ich kleine Aufträge. Wir hatten in Windhoek ein eigenes Haus, das bezahlt war, wir konnten uns über Wasser halten.

Es waren bittere Jahre, es war auch emotionell sehr schwierig, meine Frau war mehr als ich Teil der deutschsprachigen weißen Gemeinschaft, wir wurden geschnitten. Karen hat das vielleicht viel stärker empfunden, als ich. Ich habe mich in Hass, in einen Widerstand gegenüber den Weißen, den Deutschsprachigen, hineingesteigert, dass die Verachtung der anderen mich überhaupt nicht getroffen hat. Aber meine Frau hat das sehr stark berührt. Wenn Sie mich nach den Kindern fragen, muss ich sagen, die Kinder haben auch unter der Ausgrenzung gelitten. Mein Sohn, Alexander, der war 1984 schon in Kapstadt auf der Universität, der hat das nicht so mitbekommen. Die älteste Tochter, Katrin, die war selbst immer sehr progressiv, sie war auch eine der wenigen weißen Studentinnen in Kapstadt, die sich dann der NANSO, der namibischen Studentenorganisation, angeschlossen hat, der auch mit der SWAPO liiert war. Sie hat mich unterstützt. Meine zweite Tochter Susanne, die war schon in den Endjahren der Schule, ich glaube, sie hat das nicht so erkannt, sie hat es vielleicht auch nicht so gemerkt. Zumal wir ja viele Lehrer aus der Bundesrepublik Deutschland hatten, die nicht so verkrampft eingestellt waren, wie viele von den Namibia-Deutschen, den Südwester-Deutschen hier. Und die Jüngste, Annette, die hat allerdings gelitten. Die kriegte schon mal wegen ihres bösen SWAPO-Vaters eine Ohrfeige von den Lehrern. Auch sie ging in die „Deutsche Höhere Privatschule" in Windhoek. Alle meine vier Kinder gingen dort hin. Und alle meine vier Kinder haben dann an der liberalen „University of Capetown" studiert.

Damals war ich natürlich schon ein gefestigtes SWAPO - Mitglied und habe viele Arbeiten gemacht, im Ovamboland. Habe Kirchen entworfen und Kindergärten.

1988 gab es die ersten Hinweise auf die Verhandlungsbereitschaft der Südafrikaner. Grund waren ihre militärische Niederlage in Cuito Cuanavale, in Angola und der gewaltige Boykottdruck aus der ganzen Welt.

Es sah so aus, als könne Namibia auf Basis der UNO-Resolution 435 unabhängig werden. Und damals gab es im November 1988 in Tsumeb eine große Demonstration Tausender Schwarzer, die mit vielen Plakaten in der schwarzen" Stadt Nomtsoub demonstrierten. Sie forderten, dass die UNO-Resolution 435 jetzt implementiert werden müsse. Das spielte sich in der „schwarzen" Stadt, in der location, ab. Wenn wir in die „weiße" Stadt gezogen wären, dann hätte es Tote gegeben, denn um uns herum fuhren die weißen bemannten Schützenpanzerwagen, die Casspirs, und wir waren auch von südafrikanischem Militär mit schussbereiten Gewehren umgeben. Ich war der einzige Weiße in dieser Demonstration. In der ersten Reihe. Die Demonstration ist friedlich verlaufen, die Südafrikaner haben sich zurück gezogen. Aber mir schwante, dass ich Unannehmlichkeiten zu erwarten hatte, als einziger Weißer, denn ich bin pausenlos mit Teleobjektiven von den südafrikanischen Militärs fotografiert worden, als der einzige Weiße in der ersten Reihe. Ich habe mich in der Nacht aus Tsumeb davon gestohlen. Auf dem Wege nach Hause in Windhoek habe ich irgendwo im Busch geschlafen. Und am nächsten Tag bin ich nicht auf der Hauptstraße nach Windhoek gefahren, sondern auf Nebenwegen und kam unbehelligt an.

Ich habe erst 10 Jahre später genaueres über die Demonstration erfahren .Vom heutigen Bürgermeister in Tsumeb, Gerson Murorua. Der war damals mit mir Arm in Arm in der ersten Reihe. Er wurde noch in der Nacht von der südafrikanischen Geheimpolizei abgeholt, gefoltert, schwer zusammengeschlagen. Die haben ihn gar nicht so sehr nach der SWAPO gefragt, sie wollten wissen : Wo ist Dierks - wo ist Dierks? Und er konnte das natürlich nicht beantworten, er wusste das nicht. Murorua hat nur gesagt: ich weiß es nicht. Der ist weg. Wir wissen nicht, wo der ist. Und ich habe hinterher auch gehört, von weißen Farmern in der Umgebung von Tsumeb, Grootfontein und Otavi, dass von den sogenannten Schießkommandos, also von der weißen Heimwehr, die gemeinsam mit der südafrikanischen Armee kämpften, ein Befehl ausging, den Dierks tot oder lebendig zu fangen. Das war eine sehr gut organisierte Heimwehr, jeder weiße Mann zwischen dem 16-ten und dem 60-ten Lebensjahr war da Mitglied, besonders im Norden. Sie waren Teil der South-West-African-Territorial-Forces, also der südwestafrikanischen Territorialarmee, praktisch integriert in die südafrikanischen Wehrmachtsstrukturen. Die waren voll bewaffnet, hatten alle ihre Waffen zu Hause. Die Farmen, also die Heimwehrposten auch, waren durch ein Funknetz, verbunden. Wobei es natürlich immer wieder Angriffe der von der SWAPO geführten Volksbefreiungsarmee, der PLAN, gab, das heißt Übergriffe auf weiße Farmen. Da gab es sehr viele Auseinandersetzungen. Und es wurden sehr viele Schwarze und auch Farmer umgebracht. So kam immer wieder zu Kämpfen, zu Vergeltungsschlägen. Es wurden dann auch weiße Farmen, einsame Farmen von den Befreiungskämpfern überfallen. Und da wurden dann auch Unschuldige umgebracht. Es war ein sehr böser Guerillakrieg. Mit Untaten auf beiden Seiten.

Ob ich Angst hatte vor den Guerillas? Nein, niemals.

Ich hatte immer einen gesunden Optimismus. Mir schien manchmal, als sei mein Schutzengel immer in der Nähe gewesen. Ich bin in diesen Kriegszeiten als Consulting Engineer alleine durch Ovamboland gefahren. Angst hatte ich vor Landminen, denn die gab es überall. Und dagegen gab es nun kein Mittel. Man sah überall die ausgebrannten Fahrzeuge an den Straßen liegen. Immer wieder. Alle paar Kilometer. Davor hatte ich echt Angst.

Und nachts habe ich oft bei Kirchen geschlafen. Ich erinnere mich an die katholische Missionsstation Anamulenge, 1987. Ich ging nachts mit dem schwarzen Pater in das Lager der SWAPO. Dort habe ich dann mit den Befreiungskämpfern zusammen im Busch gesessen.

Manchmal habe ich auch draußen geschlafen. Da habe ich natürlich auch Angst gehabt, denn nachts kamen die südafrikanischen Flugzeuge, ohne Lichter, man hat sie nur gehört. Sie suchten mit Infrarotkameras das Gelände ab. Keiner durfte sich nach Sonnenuntergang draußen bewegen, absolute Ausgangssperre. Haben sie jemand entdeckt, wurden sofort die Hubschrauber gerufen und die haben erst mit ihren Maschinengewehren geschossen und dann gefragt. Das war unheimlich.

Ende 1988 gab es die verschiedenen Konferenzen in Genf und in New York und in der Volksrepublik Kongo (Brazzaville), und da wurden die Parameter festgehämmert für die Durchführung der UNO-Resolution 435 für die freien Wahlen in SWA.

Und dann kam ja das Jahr 1989, nun wurde tatsächlich die UNO-Resolution umgesetzt. Es kamen die ersten großen Entwicklungshilfeorganisationen und auch die ersten Vorboten der diplomatischen Missionen nach Namibia. Da wurde die SWAPO-Führung gefragt, wo gibt es hier ein Ingenieursbüro, das ihr unterstützt? Na, da gab es nur eins in Namibia, das von der Namibia Consult Incorporated, dann kamen die zu mir. Von Stunde ab, ab Januar 1989, bekam ich unglaublich viel Arbeit und fing an auch gutes Geld zu verdienen, als Namibia Consult Incorporated.

Da habe ich dann auch die Auffanglager für die namibischen Exilanten entworfen. Es waren vier große Camps. Döbra bei Windhoek, Mariabronn bei Grootfontein, Ongwediva und Engela an der Angola-Grenze. Einschließlich der Vermessungen. Das sollten die Zwischenstationen für die zurückkehrenden SWAPO-Kämpfer sein, mehr als 40.000 Menschen, die nach Jahrzehnten des Exils zurückkamen.

Ich kannte natürlich schon vorher die SWAPO-Führer, auch die im Exil, bis hin zum Präsidenten Nujoma. Ich gehörte mit zur SWAPO-Spitze.

So habe ich das Jahr 1989 sehr konkret erlebt, hatte engste Kontakte auch zum UNO-Rat für Namibia.

Es war für mich also keine Überraschung, dass ich dann als Teil der SWAPO-Fraktion ins erste Parlament gewählt wurde, 1990. Im Dezember 1989 wurde ich vom Präsidenten in sein erstes unabhängiges Kabinett als „Vize-Minister für Öffentliche Arbeit, Verkehr und Kommunikation" berufen. Und dann war ich 10 Jahre lang Minister.

Das war eine äußerst intensive Zeit.

Der einunddreißigste März 1989, als Martti Ahtisaari als der Vertreter der Vereinten Nationen nach Windhoek kam, da war ich natürlich draußen am Flughafen.

Und am 01. April früh morgens gab es dann eine Riesendemonstration der SWAPO, die in Katutura, der Stadt der „Schwarzen" in Windhoek, ihren Ausgang nahm. Es waren wohl mehr als 30.000 Menschen, die sich versammelten. Auch damals war ich wieder in der ersten Reihe.

Wir glaubten, die UNO ist in Windhoek, Ahtisaari ist in Windhoek, Namibia ist jetzt frei. Wir glaubten die Apartheid ist zu Ende. Wir waren naiv. Wir zogen also Richtung Stadtzentrum, freudig erregt. Es war eine Freudendemonstration. Die größte Demonstration in der Geschichte des Landes. Wir kamen bis an den Stadtrand, dort, wo die weiße Stadt anfing. Und da stand dann eine 10-fache Reihe von schwerbewaffneten südafrikanischen Polizisten mit entsicherten Maschinengewehren. Die standen da und sagten: Wenn ihr einen Schritt weiter geht, dann schießen wir scharf. Und wir waren in der ersten Reihe. Ich mit anderen Gewerkschafts- und politischen Führern, Danny Tjongarero und viele andere, die unterhandelten. Wir sagten: wir können gar nichts machen. Hinter uns sind 30.000 Menschen, die schieben uns und die schoben uns auch. Und da zogen sich die Südafrikaner einen halben Kilometer zurück. Dann schon bis in das weiße Gebiet hinein, bis in das Gebiet vom Windhoeker Bahnhof und holten Verstärkung. Es wurde eine zweite Barriere gebaut. Inzwischen gingen bei uns die Kommandos nach hinten, auch mit Lautsprechern und ich muss sagen, diese 30.000 Schwarzen waren total diszipliniert, obwohl wir ja kaum Kommunikation hatten. Wir drehten dann um. An meiner Seite war noch die Bundestagsabgeordnete Uschi Eid von den Grünen. Wir stürmen zu Ahtisaari und wollten wütenden Protest einlegen, dass immer noch die südafrikanische Polizei agiert, die hätten längst in den Militärbasen sein müssen. Wir wurden aber nicht vorgelassen zu Ahtisaari.

Wir wussten nicht, was sich im Norden an der Grenze abspielte, dass dort SWAPO-Kämpfer nach Namibia hereinkamen, mit ihren Waffen, um diese Waffen nach den Richtlinien des Agreements von 435 an den Sammelpunkten der Vereinten Nationen abzugeben und sich dann in die Auffanglager zu begeben. Aber diese Sammelpunkte gab es an dem Tag noch nicht. Und die UNO war im Ovamboland nicht präsent. Was vorhanden war, war die südafrikanische Armee, die schon längst hätte weg sein müssen. Die war aber immer noch da, überall, die war überall da an der Grenze. Es kam zu schweren Kämpfen und es wurden Hunderte von SWAPO-Kämpfer getötet. Viele Unschuldige. Ich weiß das.

Da wurde ein großes Reinemachen veranstaltet. Jeder, der SWAPO war, auch Zivilbevölkerung, Leute, die gar nichts zu tun hatten mit der SWAPO, selbst Pastoren und Pater sind damals ermordet worden.

Ich war ab 3. April im Norden. Ich habe das als Augenzeuge miterlebt.

Wer sagt, dass die SWAPO kämpfend die Grenze überschritten hat, mit militärischer Absicht, der lügt. Ich war dabei, ich habe mit vielen Augenzeugen geredet. Sie sind nicht kämpfend ins Land gekommen. Gut, die Südafrikaner wußten durch ihren gut organisierten Geheimdienst, unterstützt von den britischen, amerikanischen und westdeutschen Geheimdiensten, die wussten, dass SWAPO-Soldaten kommen.

Ich habe später als Historiker, ich bin ja auch noch Historiker, ein Fach, das ich als Nebenfach an der TU Berlin studiert habe, ich habe das dokumentiert, wie es wirklich war. Und wie es auch heute keiner mehr groß in Zweifel noch zieht. Die SWAPO hatte keine ausreichende Kommunikation. Sie hatte kaum Möglichkeiten sich mit diesen Gruppen zu verständigen, mit diesen Leuten, die da rein kamen. Sie liefen in eine tödlich Falle. Es sind viel mehr SWAPO-Leute umgekommen, als Südafrikaner. Das Verhältnis war eins zu zwanzig, also zwanzig tote SWAPO-Kämpfer für einen „weißen" südafrikanischen Soldaten.

Wenn die SWAPO hätte kämpfen wollen und wenn sie wirklich Angriffspläne gehabt hätte, dann wäre das nicht so tragisch abgelaufen für die SWAPO. Denn es waren ja geübte Buschkämpfer, die da kamen. Es waren ja keine Idioten.

Sie liefen in diese Falle und sie haben sich dann gewehrt. Aber sie hatten keine Chance.

Um ein Haar wäre der Friedensprozess 435 gescheitert. Wenn nicht Gorbatschow und die Amerikaner direkt eingegriffen hätten. Es kam zur Mount-Etjo-Konferenz in Namibia und da wurde der Friedensprozess dann gerettet. Es wurde vereinbart, dass die SWAPO-Kämpfer unter UNO-Aufsicht ihre Waffen abgeben und zurück nach Angola gehen. Nach zwei Monate durften sie dann wieder reinkommen. Aber selbst das ist fast gescheitert, weil die Südafrikanische Armee immer noch draußen war, und weil weiterhin Jagd auf SWAPO gemacht und Leute umbracht wurden.

Und dann gab es damals, ich war ich selbst dabei, an der Grenze zu Angola, in Ruacana, einen Kontakt zwischen Carl von Hirschberg, das war der Vertreter der Südafrikaner in Windhoek und Nahas Angula, den Vertreter von SWAPO an der Grenze. Die haben sich geeinigt, dass nun endlich jetzt Frieden sein muss im Sinne der Mount-Etjo Vereinbarungen. Dann sind die überlebenden, entwaffneten SWAPO-Kämpfer zurück nach Angola gebracht worden.

Bald kamen die Flüchtlinge nach Hause. Die aus den Flüchtlingslagern, aus Kwanza Sul zum Beispiel, die kamen Laufe des Jahres 1989, in Fahrzeugkolonnen. Und die kamen alle nach Engela. Dafür hatten wir vier Kilometer südlich der Angola-Grenze das große Auffanglager Engela gebaut. Da kamen die alle rein und wurden den Vereinbarungen entsprechend durchgeschleust.

Ab Juli 1989 gab es dann keine militärischen, schweren Zwischenfälle mehr. Reiberein gab es zwischen SWAPO und der DTA, denn der Hass war natürlich riesengroß.

Auch die Südafrikaner störten weiter, um diesen Friedensprozess zu vereiteln. Es gab einen Überfall auf das UNO-Büro in Outjo, bei dem Leute umkamen, Leute von den Vereinten Nationen und auch Namibier. Mein Parteikollege Anton Lubowski wurde in diesen Tagen ermordet, im September 1989. Zwei Tage, bevor der SWAPO-Präsident, Dr. Sam Nujoma, am 23.September nach Namibia zurückkam.

Auch dann, als Namibia frei war, gab es noch einzelne Zwischenfälle, auch nach der Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit selbst, nach dem 31. März 1990, ist aber nicht mehr in Frage gestellt worden.

Es gab immer wieder Versuche, das Rad der Geschichte zurück zu drehen, von weißen Extremisten. Ich erhielt Hunderte von Drohanrufen, fast immer anonym. Vor der Unabhängigkeit war das an der Tagesordnung. Todesdrohungen, an meine Familie und an mich. Und das ging auch noch weiter, auch nach der Unabhängigkeit.

Zu den wichtigsten politischen Botschaften der SWAPO gehörte die der „Nationalen Aussöhnung".

Die SWAPO wollte keine Hexenjagd, kein Großreinemachen. Frieden sollte sein, wirklicher Frieden zwischen allen. Alle Verbrechen der Geschichte müssen eben Geschichte bleiben und sollen nicht weiter verfolgt werden. Die Buschleute zum Beispiel, die den Südafrikaner als Spurenleser gegen die Guerillas dienten, die vom Bataillon 32, gingen mit den Südafrikanern nach Südafrika, zum Teil sogar gegen ihren Willen oder eben weil sie der Propaganda glaubten, dass sie eben ihres Lebens in einem unabhängigen Namibia nicht sicher wären. Viele sind ja inzwischen zurückgekommen. Ich habe nie gehört, dass es da irgendwelche Zwischenfälle gegeben hätte.

Ähnliches geschah mit den Beamten und all denen, die aktiv der Apartheid unter den Südafrikanern dienten. Die sind alle noch da, jeder weiß, wer sie sind. Selbst als ich dann als Minister in mein altes „Roads Department" zurückkam, saßen sie dort. Ich kannte ja meine Kollegen. Auch meine weißen, zum Teil deutschsprachigen Ingenieurskollegen, von denen einige hohe Militärränge bis zum Oberst oder Major bekleidet hatten, in der südafrikanischen Armee. Die waren alle da. Keinem von denen ist etwas passiert. Viele von denen sind bis zum heutigen Tag da. Der eine ist die rechte Hand des heutigen Verkehrsministers. Ich glaube an die Aussöhnungspolitik.

Ich selbst habe nun, was die Buren oder auch die Südafrikaner angeht, längst innerlich Frieden geschlossen. Aber damals, 1990, da hegte ich einen tiefen, bitteren Hass. Damals war ich kein Anhänger der nationalen Versöhnung.

Die SWAPO war gut auf die Unabhängigkeit vorbereitet. Ich habe zum Beispiel für die SWAPO an der sogenannten „Blue Bible" mitgeschrieben. Das war ein Plan von den United Nations finanziert wurde, für die Vorbereitung eines unabhängigen Namibias, das erschien 1986. Mein Kapitel war das Kapitel elf „Transport and Communication". Damals habe ich schon vorgeschlagen, was in einem unabhängigen Namibia an Ingenieursinfrastruktur realisiert werden sollte. Ich hatte meine „blue prints", meine Pläne. Die waren fertig.

Und dann kam ich ins Ministerium, mit diesen Plänen unter dem Arm und dem Buch in der Hand, vor der Unabhängigkeit noch, als designierter Vizeminister. Als ich meinen Kollegen gegenüber trat, sah ich sehr viele rote und verlegene Gesichter. Alle dachten jetzt, jetzt kommt die Nacht der langen Messer. Jetzt werden die Ingenieure alle rausfliegen. Damals hatten sie alle Angst, ich würde mir dann Ingenieure aus der DDR holen. Oder aus der Sowjetunion. Oder aus Kuba. Aber das war nicht der Fall.

Ich sagte: Meine lieben Kollegen, es ist eine neue Zeit, die anbricht. Wir haben hier Pläne, die uns alle über Jahrzehnte hinweg beschäftigen werden. Das sind Pläne, die jedes Ingenieursherz höher schlagen lassen. Wir haben riesige Straßen- und Eisenbahnprojekte, Hafenprojekte, wir müssen die Infrastruktur in Südangola aufbauen, wir müssen die großen Ost-West-Verbindungen darstellen, die großen Fernstraßen der Trans-Kalahari, Trans-Caprivi highways. Wir müssen vor allen Dingen in den total vernachlässigten Gebieten Hunderte und Tausende Kilometer von neuen Straßen bauen und Telefonleitungen legen. Die Pläne liegen auf dem Tisch!

Als der erste Haushalt vorgelegt wurde, vom Finanzminister Dr. Otto Herrigel, da ging fast ein Drittel des gesamten Haushaltes an mein Ministerium. Weil ich die Pläne schon hatte. Und wir haben sofort angefangen. Da gab es zum Beispiel Gibeon, eine alte historische Stadt, die schon vor fast 200 Jahren als Missionssiedlung eine Rolle spielte. Gibeon war sogar während der deutschen Kolonialzeit eine Distriktshauptstadt. Als die große Teerfernstraße von Windhoek nach Südafrika gebaut wurde, da lief diese Teerfernstraße 8 km, 5 Meilen, östlich der Stadt Gibeon vorbei! Diese große Siedlung Gibeon war nicht angeschlossen an diese Fernstraße! Warum? Gibeon war eine reine „schwarze" Stadt. Da hatte man kein Interesse, diese acht Kilometer Asphaltstraße zusätzlich zu bauen. Ich habe gesagt, einen Tag nach der Unabhängigkeit, egal wie ihr das macht, fangen wir an, diese Straße zu bauen. Diese acht Kilometer. Und das ist genau auch passiert. Einen Tag nach der Unabhängigkeit wurde begonnen und noch 1990 ist diese Straße fertig gestellt worden. Das war mein erstes großes Projekt.

Und es ging weiter. Zum Hafen Lüderitzbucht fehlte immer noch ein 100-km-Teilstück Asphalt. Die Südafrikaner wollten den Hafen Lüderitzbucht eigentlich zugrunde gehen lassen, als Konkurrenzhafen zu den südafrikanischen Häfen ausschalten. Der Hafen war klein und unterentwickelt, und es gab keine durchgehende Asphaltstraße nach Lüderitz und die Eisenbahn, die hat man systematisch, wie ich immer sagte, „zugrunde unterhalten". Aber 100 km Straße fallen natürlich auch nicht vom Himmel. Auch diese Straße wurde 1991 begonnen und 1993 fertig gestellt. Das war das zweite große Projekt.

Das dritte und vierte große Projekt waren dann die beiden Großprojekte Trans-Kalahari, also die große Fernstraßenverbindung von Namibia über Botswana nach Südafrika, und die Trans-Crapivi-Fernstraße von Namibia Richtung Zambia und Zimbabwe durch den Caprivizipfel. Auch das begann bereits 1990, wurde mit großen Finanzmitteln von vielen Geberländern, besonders auch von der deutschen Entwicklungshilfe finanziert.

Aber, mein größter Stolz sind diese sechshundert Kilometer Straßensysteme in Ovamboland, die wir bereits in den ersten zwei Jahren der Unabhängigkeit gebaut haben. Und wenn man heute die Entwicklung nach der Unabhängigkeit sieht, diese dreißig, vierzig großen Straßenbauprojekte, dann stellt man fest, die wurden in den ersten Jahren des unabhängigen Namibias realisiert !

Das ist in meinen Augen, was die ersten Jahre betrifft, die größte Erfolgsstory der SWAPO-Regierung.

Als Minister konnte ich auch Ideen, die mich als Ingenieur schon immer beschäftigten, durchsetzen.

In Ländern mit einem großen ungeschulten Arbeitslosenpotential sollte man große Bauingenieursprojekte möglichst arbeitsintensiv durchführen. Aber die Handarbeit darf im Grunde nicht teurer sein als die Maschinenarbeit. Denn sonst ist das ja volkswirtschaftlich nicht sinnvoll.

Man sollte solche Baumethoden entwickeln, dass die Handarbeit durchaus mit der Maschinenarbeit konkurrieren kann. Bestimmte Bauleistungen kann man nicht mit der Hand machen kann, wie zum Beispiel Verdichtungen. Die muss mit Maschinen gemacht werden, beim Lagenaufbau von Eisenbahnen oder Straßen oder Talsperren. Aber es gibt viele Arbeiten, die man arbeitsintensiv durchführen kann. Ich hatte diese Ideen schon lange vor der Unabhängigkeit. Auch damals gab es ja schon vierzig Prozent Arbeitslosigkeit in den 70-er, 80-er Jahren in Namibia . Arbeitsintensive Technologien, ich hatte das vorgeschlagen, damals schon. Es wurde von den sehr konservativen, südafrikanisch geschulten Ingenieuren hohnlachend abgelehnt. Aber ich habe es nach der Unabhängigkeit mit ministerieller Gewalt durchgesetzt. Meine Kollegen hatten gar keine andere Wahl. Die mussten sich damit befassen.

Wir haben heute Tausende von Kilometern arbeitsintensiv gebaut. Besonders in dem vernachlässigten Norden. Wir sind heute, auch mit unseren Forschungen auf diesem Gebiet, Weltführer in diesen Technologien. Ich muss gar kein Einfluss mehr nehmen, kann mir das alles angucken, weil die ehemals feindseligen Ingenieure heute die größten Befürworter dieses Systems sind, weil es für das Land gut ist.

Über die genannten Projekte hinaus war es notwendig, die Infrastruktur insgesamt zu entwickeln. Mit Kommerzialisierung und Privatisierung ist manches nicht so effektiv gelaufen, wie wir es uns gewünscht haben. Da waren wir wohl zu wenig erfahren, zu eifrig und wurden vielleicht auch von manchem „Consultant" aus Europa verkehrt beraten. Zum Beispiel die Privatisierung unseres Telefonsystems und das Verkehrswesen.

Nehmen wir das Telefon. Letztenendes haben wir doch ein sehr gutes System geschaffen. Es gab vor der Unabhängigkeit keinerlei Telefonverbindungen im Ovamboland, abgesehen von den großen Militärbasen Ondangwa, Oshakati und Oshikango. Wir haben 1991 angefangen, ein modernes elektronisches, digitalisiertes Telefonsystem aufzubauen, im ganzen Ovamboland. Das Projekt wurde mit deutschen Entwicklungsgeldern in zwei Jahren realisiert. Damals habe ich sogar noch den deutschen Postminister - es war noch Dr. Schwarz-Schilling - überzeugt; Leute, dass ist ein wichtiges, soziales Entwicklungsprojekt, da müsst ihr uns nicht zurückzahlbare Entwicklungshilfe geben. Das ist auch passiert. Ich habe nie erzählt, ich tue es jetzt zum ersten Mal, dass dieses System so hoch profitabel war, dass Telekom Namibia bereits einige Monate, nachdem das System in Dienst gestellt war, hohe Profite machte. Für die zweite und dritte Ausbauphase des Telefonnetzes, die inzwischen auch längst verwirklicht sind, haben wir von Deutschland nur noch „Soft Loans" bekommen. Der Bluff mit dem „sozialen Telefonsystem", der hat nur einmal gearbeitet.

Sie fragen nach dem Grund des Ressortwechsels, zum Bergbau. Das habe ich mir nicht ausgesucht.

Der Präsident meinte vielleicht, als er mich zum Vizeminister für Bergbau und Energie machte, das wäre eine Beförderung für mich. Weil der Bergbau eine Schlüsselfunktion hat und er glaubte, dass ich dort auch meine Energie und meine Erfahrung als Ingenieur einsetzen kann. Aber zu dem Zeitpunkt war ich ja nun schon fast fünfundsechzig. In diesem Alter geht man ja nun nicht mehr so gern auf die Schulbank. Als Bauingenieur im Verkehrswesen, Straßenbau und Eisenbahnbau und Hafenbau und Talsperrenbau, da bin ich ein erfahrener und vielleicht auch ein ganz guter Ingenieur, da konnte mir kein Mensch etwas vormachen. Aber nun im Bergbausektor und auch im Energiesektor, da musste ich vieles neu lernen. Es hat mich oft gestört, dass ich da mit Experten zu tun hatte, im Minensektor oder auch bei Energie und Strom, dass ich es da mit Leuten zu tun hatte, die eben viel mehr wussten, als ich. Dinge, die ich nicht so schnell lernen konnte. Ich konnte ja kein neues Elektrotechnikstudium oder ein Bergbaustudium anfangen. Aber trotzdem, habe ich zwei Dinge in diesem einem Jahr - ehe ich dann nach 10 Jahren als Minister freiwillig ausschied – gemacht.

Ich habe mich intensiv für den Ausbau „grüner" Energie, alternativer Energieformen in Namibia eingesetzt. Besonders der Wind- und der Sonnenenergie.

Und ich habe es mit hohem persönlichen Einsatz geschafft, die Tsumeb-Mine, die damals bankrott war - eine der größten Bergbaubetriebe Namibias, die große Kupfermine in Tsumeb - wieder zum Leben zu erwecken. Technisch und auch wirtschaftlich. Zu einem äußerst kritische Zeitpunkt musste die Regierung Garantien unterschreiben, sonst wäre alles vorbei gewesen. Aber ich konnte keine Vollmachten bekommen! Da habe ich ohne Vollmacht der Regierung eine Garantie über einige Millionen Dollar unterschrieben. Voll in privater Haftung, wenn mich der Finanzminister nicht anschließend da frei gemacht hätte. Auf diese Weise ging die Arbeit dort weiter, es entstand die heutige Ongopolo-Mine, in Tsumeb. Ongopolo heißt auf Oshiwambo Kupfer. Das ist solch ein Projekt, auf das ich sehr stolz bin.

Ich hatte auch die Chance bei der Rückführung von Walvisbay nach Namibia mit zuarbeiten. Unter der Federführung des namibischen Außenministers, Theo-Ben Gurirab, war ich mit der technischen Seite des Unternehmens befasst. Der Hafen war uns wichtig, den Südafrikanern aber auch. So habe ich einen Geheimplan über den Bau eines neuen Großhafens bei Cape Cross entwickelt. Alles war ausgearbeitet. Es gab schon Pläne im Detail. Wenn die Südafrikaner uns Walvisbay nicht geben, dann werden wir um Walvisbay nach Berliner Vorbild „eine Mauer herum bauen". Und dann können sie da in ihrer Sandoase sitzen und dann wird nichts mehr passieren. Sie kriegen auch kein Wasser und kein Strom mehr aus Namibia. Und wir bauen unseren eigenen Großhafen, bei Cape Cross. Das war natürlich ein Riesenbluff, der neue Hafen war niemals beabsichtigt. Aber die Ingenieursplanung, die habe zum Teil sogar ich persönlich gemacht, mit „Consulting Engineers", die lag vor. Das war eine Studie, da stand „Top Secret" drauf. Und als ich zu Verhandlungen in Pretoria war, habe ich die Mappe mit der Studie „in meinem Hotelzimmer vergessen". Als ich von der Verhandlung zurückkam, wusste ich: „Man" hatte sich für den Inhalt der Mappe interessiert. Und das hat auch etwas dazu beigetragen, dass es dann sehr reibungslos ging. Die Rückführung von Walvisbay nach Namibia.

Eigentlich schon im Ruhestand, habe ich nun für drei Jahre die Arbeit des Aufsichtsratsvorsitzenden für die TransNamib, das ist die namibische Eisenbahn-Gesellschaft, übernommen. Das Unternehmen steckt aus verschiedenen Gründen tief in den „roten Zahlen" und macht immer noch Verluste. Erstes Jahresziel ist, wir werden es auch erreichen, die Verluste zu halbieren. Wenn unsere Eisenbahn wirklich als kundenfreundliches Dienstleistungsunternehmen umgepolt wird, dann können wir auch im Inland und in Südafrika sehr viel mehr Potential auf die Schiene bekommen. Außerdem gibt es Neubaustrecken, die jetzt im Bau sind. Zum Hafen Lüderitz, das ist eine davon. Und auch im Norden gibt es neue Herausforderungen, wie eine neue Eisenbahnlinie von Tsumeb nach Angola. Jetzt ist Frieden in Angola! Welch ein gewaltiges Potential! Und der alte Traum von der Transkalari-Eisenbahlinie von Walvisbay nach Johannesburg, der ist ganz stark wieder auf den Karten - als langfristiges Projekt. Im Tourismus könnte sehr viel mehr gemacht werden. „Abenteuer Eisenbahn", zum Beispiel, obwohl unser Schwerpunkt, fünfundneunzig Prozent, auf dem Güterverkehr liegt. Erz-, Container-, Baumaterialien- und Branntstoffverkehr, das sind unsere Schwerpunkte. Der Passagierverkehr spielt hier, Namibia ist dreimal so groß wie das wiedervereinigte Deutschland, aber mit nur 1,8 Millionen Einwohnern, eine geringe Rolle. Wir können im Personenverkehr auch gar keine ökonomischen Dienste anbieten. Das bedeutet, der Transport von Personen wird mehr dem Individual- und Busverkehr vorbehalten bleiben.

Am Ende meiner Amtszeit, dann bin ich siebzig, soll TransNamib nicht nur „schwarze Zahlen" schreiben. Die namibische Eisenbahn, die auch Teil der deutschen Eisenbahngeschichte ist, soll dann sich so entwickelt haben, dass sie mit Fug und Recht wieder als Stützpfeiler der namibischen Wirtschaft gelten kann. (Heute, 2004, schreiben wir schwarze Zahlen, haben keinen Angestellten entlassen müssen und haben gewaltige Investitionsprogramme begonnen!). Und weil mit der Eisenbahn auch ein gemeinsames Stück Geschichte zwischen Namibia und Deutschland ins Spiel kommt, eine Bemerkung dazu.

Ich stehe dem Umgang mit der deutschen Geschichte hier im Lande, zum Teil sehr kritisch gegenüber. Sicher hängt das auch damit zusammen, dass ich mich als Historiker ziemlich genau damit befasst habe und die Fakten kenne. Der deutsche Beitrag zur namibischen Geschichte ist verantwortlich für die schmerzvollste Periode des namibischen Volkes, deren Probleme uns bis zur Gegenwart beschäftigen (der deutsch-namibische Krieg von 1903 bis 1908, der den Völkermord an Namibiern einleitete und der „erste deutsche Völkermord" war).

Ich weiß aber auch, die Gruppe der Deutschsprachigen hat in den letzten 150 Jahren sich immer wieder in einem sehr harten Land durchkämpfen müssen. Über zwei Weltkriege hinweg, die ja auch der deutschen Gruppe sehr geschadet haben.

Aber sie hat es immer vermocht, die deutsche Sprache zu erhalten. Und heute in der fünften, sechsten Generation reden wir und unsere Kinder und Enkelkinder ja immer noch genauso gut deutsch, wie die Deutschen in Deutschland.

Als bekennender Preuße in Namibia kann man durchaus gewisse Charaktereigenschaften einbringen, wie Pünktlichkeit, absolute Zuverlässigkeit, Arbeitsleistung, mehr sein als scheinen, dass irgendwelche Machtpositionen oder Machtvorteile eigentlich nicht so wichtig sind.

Das sind sicherlich Vorteile.

Auf der anderen Seite habe ich sehr viele Qualitäten von meinen „schwarzen" Kollegen und Genossen schätzen gelernt. Sie haben andere gute Seiten, die wir Namibia-Deutschen nicht haben. Sie sind, glaube ich, kompromissbereiter, sind viel brüderlicher und menschlicher. Meine Erfahrung ist, dass sie viel sprachbegabter sind als wir, das sie besser verhandeln können, da sie viel sanftmütiger sind. Anders als wir Deutschen sind sie nicht so kurz angebunden und aufbrausend. Sie sind geduldiger, nehmen sich mehr Zeit. Das hat natürlich viele Vorteile, bringt natürlich auch Nachteile mit sich. Denn viele Dinge, die man hätte durchführen müssen, sind nicht durchgeführt worden.

Ich glaube, dass das Deutsche hier erhalten bleibt. Ich würde mir wünschen, dass die Deutschen hier als kleiner afrikanischer Stamm mit der afrikanischen Stammessprache des Deutschen sich aktiver am politischen Leben beteiligen und die Einheimischen mehr als Landsleute akzeptieren würden. Und nicht nur die großartige Natur Namibia mit ihren endlosen herrlichen Landschaften und Weiten und der Sonne und der großen Freiheit und der großen Einsamkeit hoch leben lassen, sondern auch die Menschen lieben.

In diesem geschichtlichen Zusammenhang sollten wir das Problem „Landreform" gemeinsam, im Interesse des Landes, seiner wirtschaftlichen Stabilität, angehen. Es ist eine außerordentlich sensible Angelegenheit. Im Grunde müssen wir uns von unserer Verfassung leiten lassen, die ganz klar sagt, die Geschichte kann nicht zurückgeschraubt werden. Man kann keine historischen Ansprüche geltend machen, das ist völlig unmöglich. Denn wo gibt es juristisch gesehen, noch jemanden, der auf dieses Land, das ja den Schwarzen mit Gewalt und zu Unrecht abgenommen wurde, vor einhundert Jahren, wen gibt es da heute, dem man dieses Land zurückgeben könnte? Da gibt es keine juristisch ernsthaft vertretbaren Rechtsansprüche. Für mich ist die Landfrage eigentlich nicht so wichtig, wie viele anderen Fragen, weil ich meine, es ist dringender, das Land zu entwickeln. Es ist wichtiger, Arbeitsplätze zu schaffen, als die Landfrage auf Biegen und Brechen zu lösen. Und es gibt es noch sehr viel Land, das man entwickeln könnte, für den, der Land haben will. Für mich ist das eigentlich keine Sache, die man politisch benutzen sollte, und damit wirtschaftlichen Entwicklungen in Frage stellt.

Was ich beiden Seiten raten würde? Ich würde raten, den Weißen hier, die zum Teil immer noch negativ der schwarzen Mehrheitsregierung gegenüberstehen, sie sollten manchmal besser zuhören, was die Schwarzen sagen, um sie zu verstehen. Die Emotionen, die immer noch zum Vorschein kommen und diese Jahrhunderte alten Demütigungen, die ja die Schwarzen auch durch die Kolonialgeschichte und die Apartheid hinnehmen mussten, die führen eben auch manchmal zu diplomatischen Entgleisungen. Der schwarzen Seite würde ich empfehlen, man sollte seine Worte besser abwägen, obwohl ich als Ingenieur selbst, leider, völlig undiplomatisch bin. Aber all diese, manchmal aus unergründlichem, politischen Kalkül gemachten Äußerungen, sollten uns nicht entzweien, sondern uns im Dialog um die bestmögliche und wirtschaftlich vernünftige Lösung zusammenführen.

Diese junge Republik ist schon mit ganz anderen Problemen fertig geworden

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Er hatte das letzte Wort, straffte sich, als ermahne er sich selbst zum disziplinierten Gebrauch der eigenen Zeit. Lebenszeit. Während er den Laptop nach einem Detail für das Gespräch mit den Leuten der Wasserbehörde befragte, bemerkte ich die noch blassen Altersflecken auf seinem Handrücken. Ich hörte, er spiele auch ein wenig Klavier, für seine Frau und manchmal für sehr nahe Freunde. Ich weiß, er mag sehr Johann Sebastian Bach, die Kantaten insbesondere, hoch geschätzt die Leipziger Aufnahmen. Ich vermute, er plant immer noch Wandern und Steigen im Himalaya. Das alles kommt in seinem Alltag vor, der wohl den Rhythmus der Jahreszeiten, kaum aber die übliche Abfolge von Arbeitstag, Ruhetag, Arbeitstag kennt. Ihm ist die Arbeit ein Fest, im ganz altmodischen, lutherischen Sinne, wie ihm die Bachkantate eines sein kann, nur eben auf andere Weise.

Er wird in einer halben Stunde über Wasserpreise für das Bahnprojekt verhandeln müssen ... .

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Im Glossar

(für den Anhang, der Begriffe erklärt, wird unter dem Begriff IIKhauxa!nas folgendes Zitat eingefügt:)

IIKhauxa!nas (||, |, ! und # sind die Schnalzlaute der Khoesan-Gemeinschaften Namibias)

... Weiterhin fand ich eine mehr als einen Kilometer lange Schutzmauer, die, mehrere Meter hoch, in einem unregelmäßigen Bogen um das ganze Bergesplateau herumläuft. Dieses, aus zum Teil tonnenschweren Felsplatten meisterhaft zusammengefügte Trockenmauerwerk, umschließt ein mit Trümmern übersätes Areal von mehreren Quadratkilometern Fläche.

Es gibt hier Mauerreste und Fundamente von Häusern, einen vermutlichen Versammlungsraum, Viehkräle (offene Stallungen) und merkwürdig geformte Grabdenkmäler zum Gedenken an gefallene Krieger.

Die Baufragmente sind aus Hunderttausenden von Sandsteinplatten aufgerichtet. Viele Mauern sind unter dem Einfluss von Erosion und menschlichen, sowie tierischen Aktionen zusammengestürzt. Besonders die hier zahlreich vorkommenden Paviane sind große Zerstörer, da sie bei der Suche nach den von ihnen als Delikatesse geschätzten Skorpionen viele Felsplatten herunterwerfen.

Offensichtlich haben die Erbauer von IIKhauxa!nas keinerlei Dächer für die Bauwerke im Sinne gehabt, was bei den normalen klimatischen Verhältnissen im Süden Namibias auch kaum vonnöten wäre. Viele Fragen bleiben vorläufig noch offen und sind im Grunde erst durch archäologische Forschungen zu beantworten...

Interessant ist nicht nur, dass IIKhauxa!as mit einem historisch gesicherten Errichtungsdatum, das vor 1800 liegt, die bisher bekannte älteste systematische Bauanlage Namibias ist, sondern auch aus dem Motiv heraus entstand, dass ein Namavolk sich im 18. Jahrhundert der kolonialen Unterdrückung durch die europäischen Siedler des südafrikanischen Kaps der Guten Hoffnung entziehen wollte, um in einem Gebiet, das später Namibia werden sollte, Freiheit und Unabhängigkeit zu finden.

Später, in der Zeit von Deutsch-Südwest-Afrika spielte IIKhauxa!nas eine wichtige historische Rolle in dem Widerstandskrieg des namibischen Volkes gegen die deutsche Kolonialmacht, als die Bergfestung als geheimes Hauptquartier für den großen namibischen Guerillaführer Jakob Marengo diente.

Aus Dr. Klaus Dierks " IIKhauxa!nas: Die verlorene Stadt im Südosten Namibias" Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1998