PHOTO-DOKUMENTATION: KHUMBU-HONGU'82: DIE VERBINDUNG VON VIER BASE CAMPS: CHO OYU, MOUNT EVEREST, LHOTSE UND ÜBER DEN AMPHU LAPSA UND WEST COL ZUM MAKALU UND MERA PEAK"
Klaus Dierks
© Dr. Klaus Dierks 2004-2005
© Dr. Klaus
Dierks 2005: Photo: Tsiringma 6 429 m zwischen Amai Dablam und Amphu
Laptsa: Auf dem Trek vom Lhotse Base Camp zum Amphu Laptsa
DIESE PHOTO-DOKUMENTATION IST MEINEM FREUND BRUCE CAMPBELL-WATT AUS RUWA/HARARE-ZIMBABWE GEWIDMET |
Copyright of Map: Research Scheme Nepal Himalaya (Schneider Maps)
Bei der zweiten Namibia Himalaya Expedition 1982 verfolgten wir ein für unsere Mittel und Möglichkeiten sehr ehrgeiziges Unternehmen. Wir wollten die zwischen fünf und sechstausend Meter hohen Basislager von vier Achttausendern in Ost-Nepal, die des Cho Oyu (8 153 m), Mount Everest (8 848 m), Lhotse (8 501 m) und Makalu (8 475 m) miteinander verbinden. Die Trekking-Expedition bestand aus Bruce Campbell-Watt aus Ruwa nahe Harare in Zimbabwe (Bruce wurde 1991 auf seiner Farm ermordet), meinerseits, unserem erfahrenen Sherpa-Führer, Dawa Thondup (einer von Herbert Tichy's Sherpas. Tichy war der Erstbeseiger des Cho Oyu am 19.10.1954), dem Assistent-Sherpa-Führer, Ang Tschumbi, einem Koch und sieben Trägern.
Durch die Überschreitung der schwierigen, zwischen sechs- und siebentausend Meter hohen Gebirgskette zwischen Everest und Makalu bekam unsere Trekking-Expedition einen ernstzunehmenden, bergsteigerischen Charakter. Es war außerdem geplant, einen hohen Berg im noch völlig unerschlossenen und menschenleeren Hongu zu besteigen.
Wir wanderten von der haarsträubenden Landepiste von Lukla im Dudh Kosi-Tal über Namche Bazar nach Khumjung (siehe die Photo-Dokumentation: Rolwaling-Khumbu'1980). Von dort folgen wir der Nordseite des Imja Khola-Tales. Nahe dem Sherpa-Dorf Phortse (Tschörte auf 3 973 m) drehten wir nach Norden ab, in das Gokyo-Tal in Richtung Cho Oyu 8 153 m.
Copyright of Map: Research Scheme Nepal Himalaya (Schneider Maps): Khumbu
Himal (Nepal): 1 : 50 000
Copyright of Map: Sherpaland: National Geographic, May 2003
Die buddhistische Tschörte auf 3 973 m zwischen Khumjung und
Phortse mit dem Amai Dablam 6 856 m im Hintergrund: Blick nach Osten: Von hier drehen wir
nach Norden ab in Richtung Cho Oyu
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Copyright of Map: Research Scheme Nepal Himalaya (Schneider Maps): Khumbu
Himal (Nepal): 1 : 50 000
Blick nach Norden in das Gokyo-Tal mit dem Ngozumpa-Gletscher,
der vom Cho Oyu 8 153 m und dem Gyachung Kang 7 922 m kommt
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Gokyo-Tal: Phortse: Das Innere eines Sherpa-Hauses
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Sherpa-Kinder in Phortse
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Gokyo-Tal: Taboche 6 367 m: Blick nach Nordosten
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Gokyo-Tal: Jobo Lhaptshan (Cholatse) 6 440 m: Blick nach
Nordosten
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Gokyo-Tal: Auf dem Wege von Phortse nach Machhermo: Im
Vordergrund unser Chef- Sherpa Dawa Thondup: Blick nach Norden
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Gokyo Valley: Dawa Thondup Sherpa
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Gokyo Valley: Unsere Camping-Site nahe Machhermo
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Auf dem Wege von Machhermo nach Gokyo: Blick nach Norden zum Cho
Oyu
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Unser Camp in Gokyo: Blick nch Norden mit Cho Oyu im Hintergrund
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Gokyo: Blick nch Norden mit Cho Oyu im Hintergrund
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Gokyo: Sherpa-Haus mit Yak
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Gokyo: Das Innere eines Sherpa-Hauses mit einigen unserer
Träger
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Gokyo: Das Innere eines Sherpa-Hauses
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Gokyo: Sherpa-Schmuck
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Gokyo: Über Nacht begann es zu scheien (April 1982): Blick nach
Norden zum Cho Oyu
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Gokyo: Blick vom Ngozumpa-Gletscher zum Cho Oyu im Norden
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Gokyo: Blick vom Ngozumpa Tsho zum Cho Oyu 8 153 m im Norden
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Gokyo: Blick vom Ngozumpa Tsho zum Gyachung Kang 7 922m im
Norden
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Copyright of Map: Research Scheme Nepal Himalaya (Schneider Maps): Khumbu
Himal (Nepal): 1 : 50 000
Aufstieg zum Gokyo Peak 5 483 m: Blick zum Gokyo Tsho (See) nach
Südwesten
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Aufstieg zum Gokyo Peak 5 483 m während des Sonnenaufganges:
Blick nach Westen
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Aufstieg zum Gokyo Peak 5 483 m: Blick nach Süden mit Jobo
Aufstieg zum Gokyo Peak 5 483 m: Blick nach Süden zum Jobo
Lhaptshan mit dem Ngozumpa-Gletscher im VordergrundAufstieg zum Gokyo Peak 5 483 m: Blick nach Norden zum
Cho Oyu 8 153 m mit dem Ngozumpa-Gletscher im VordergrundAufstieg zum Gokyo Peak 5 483 m: Blick nach Norden zum
Gyachung Kang 7 922 m an der tibetischen Grenze mit dem Ngozumpa-Gletscher im VordergrundAufstieg zum Gokyo Peak 5 483 m: Blick nach Südosten zum Jobo
Lhaptshan mit dem Ngozumpa-Gletscher im Vordergrund
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Auf dem Gipfel des Gokyo Peak 5 483 m: Blick nach Norden zum
Gyachung Kang
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Auf dem Gipfel des Gokyo Peak 5 483 m: Blick nach Südosten zum Jobo
Lhaptshan mi dem Ngozumpa-Gletscher im Vordergrund: Im linken Hintergrund ist der Makalu 8 475 m sichtbarAuf dem Gipfel des Gokyo Peak 5 483 m: Blick nach Süden mit dem
Ngozumpa-Gletscher und dem Gokyo Tso im Vordergrund
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Auf dem Gipfel des Gokyo Peak 5 483 m: Blick nach Nordosten zur
Chomolungma - Mount Everest 8 850 m: Derhöchste Berg auf Erden: Auf dem mittleren Photo
sieht man einen anscheinend kleinen Gipfel: Changtse 7 550 m in Tibet: Auf dem rechten
Photo sieht man Nuptse 7 879 m und Lhotse 8 501 m rechts
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Die etwa drei Wochen dauernde Anpassungszeit bis in die erste Höhe von sechstausend Meter führt uns in das Gebiet des Cho Oyu. Hier besteigen wir zwei fast sechstausend Meter hohe Gipfel und übersteigen dann den technisch schwierigen Cho La Col 5 690 m, der vom Cho Oyu zum Basislager des Mount Everest hinüber führt.
Auf dem Wege von Gokyo zum Cho La Col mussten wir erst den
Ngozumpa-Gletscher queren: Der Weg führte nach Osten in das Nyimagawa-Gletscher-Tal
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Nach der Querung des Ngozumpa-Gletschers hatten wir das
Nyimagawa-Gletscher-Tal erreicht: Die Sherpa-Sommer-Niederlassung Chugyüma 4 690 m
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Blck vom Cho La Col-Aufstieg in das Nyimagawa Gletscher-Tal nach
Norden zum Kangchung 6 103 m im Hintergrund
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Der Aufstieg zum Cho La Col: Blick nach Westen
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Der Cho La Col Eisbruch auf dem höchsten Punkt des Cho La Col 5
690m: Blick nach Norden
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Der Abstieg über den Cho La Col-Gletscher in das Khumbu
Gletscher-Tal: Blick nach Osten
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Der Abstieg in das Khumbu Gletscher-Tal: Blick nach Osten mit
Jobo Lhaptshan 6 440 m von Norden (Mitte der Photos)
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Der Abstieg in das Khumbu Gletscher-Tal: Blick nach Osten
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Dzonglha 4 843 m ist die erste Sherpa-Siedlung im
Khumbu-Gletscher-Tal
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Der Abstieg in das Khumbu Gletscher-Tal: Blick nach Osten zum
Tshola Tsho (See) 4 533 m
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Der Tshola Tsho 4 533 m mit Jobo Lhaptshan von Osten
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Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Die Schnee- und Wetterverhältnisse sind in dieser Vormonsunzeit 1982 sehr schlecht. Jeden Tag gibt es schwere Schneefälle, und wir können schwierige Passagen nur früh morgens, ehe die Schneestürme beginnen, durchsteigen. Es ist viel zu kalt für die Jahreszeit, und die Gefahr von Lawinen und Schneebrettern nimmt mit dem reichlichen Neuschnee zu. So bescheren uns unsere ersten Fünftausender in diesem Jahr, der Gokyo Kang und der White Peak, die normalerweise als technisch nicht schwierig gelten, eine Fülle von Problemen, wenn auch keine ausgesprochenen Grenzerlebnisse. Der Übergang vom Cho La Col (5 690 Meter) fordert das Äußerste von uns: Gletscher, Eisrinnen, Eisbrüche, eine senkrechte Felswand, über die wir unsere Träger abseilen müssen. Gerade, weil es eine so große Anstrengung ist, hier hoch zu steigen, bleibt die Erinnerung an die überwältigenden Naturschönheiten so stark im Bewusstsein: der Blick auf die Gletscher, Eisbrüche, die Eisriesen um uns herum: Amai Dablam, der heilige Berg des Khumbu, Nuptse mit seinen fast 8 000 Meter, Cho Latse (Jobo Lhaptshan) und der dritte Pol der Erde: Chomo Lungma, die "Göttinmutter der Welt". |
Copyright of Map: Research Scheme Nepal Himalaya (Schneider Maps): Khumbu
Himal (Nepal): 1 : 50 000
Der Khumbu-Gletscher: Blick nach Norden zur tibetischen Grenze:
Linkes Photo: Von links nach rechts: Pumori 7 145 m; Lingtren 6 697 m und Khumbutse 6
640m: Das rechte Photo zeigt den Changtse 7 550 m (Nord-Gipfel des Mount Everest in Tibet
und die Everest West-Schulter auf der rechten Seite
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Nuptse 7 879 m West-Wand: Vom Kalar Patar mit dem
Khumbu-Gletscher im Vordergrund
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Aufstieg zum Gipfel des Kalar Patar 5 600 m: Blick nach Süden
auf den Khumbu-Gletscher
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Vom Gipfel des Patar 5 600 m: Blick zum Pumori 7 145 m an der
Grenze zwischen Nepal und Tibet
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Vom Gipfel des Patar 5 600 m: Blick zum Changtse (Nord-Gipfel
des Mount Everest) in Tibet: In der Pass-Lücke zur Rechten befindet sich der North Col
zwischen Changtse und dem Nordost-Grat von Mount Everest
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Vom Gipfel des Patar 5 600 m: Blick zur Chomolungma - Mount
Everest 8 850 m: Der Dritte Pol der Erde: Trotz der schweren Schneefälle am Ende des
Winters (April 1982: Vor-Monsun-Zeit) ist die Gipfelpyramide des Everest fast schneefrei
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Vom Gipfel des Patar 5 600 m: Blick zur Chomolungma - Mount
Everest und Nuptse (Rechts auf dem linken) : Klaus Dierks auf dem rechten Photo
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Der Trek von Gorak Shep zum Everest Base Camp über den
Khumbu-Gletscher zum Khumbu-Eisbruch: Blick nach Süden
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Der Trek von Gorak Shep zum Everest Base Camp über den
Khumbu-Gletscher zum Khumbu-Eisbruch: Blick nach Norden zum Pumori 7 145 m
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Der Trek von Gorak Shep zum Everest Base Camp über den
Khumbu-Gletscher zum Khumbu-Eisbruch: Blick nach Norden zum Changtse hinter dem
Nepal-Tibet-Grenz-Bergesrücken
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Der Trek von Gorak Shep zum Everest Base Camp über den
Khumbu-Gletscher zum Khumbu-Eisbruch: Blick nach Norden zum Khumbu-Eisbruch und der
Everest-West-Schulter (links): Das rechte Photo zeigt das Western Cwm mit dem South Col
und Lhotse (rechts) am Talabschluss
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Mount Everest Base Camp: Sowjet-Union-Expedition zur
Südwest-Wand von Mount Everest 1982
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Neue Begegnungen mit Bergsteigern aus einer anderen Welt
ergeben sich, als ich mit Ang Tschumbi zum Everest Basislager der "Ersten
Sowjetischen Expedition zum Everest '82" aufsteige. Der Aufstieg von Gorak Shep durch
die verwirrende Eislandschaft des Khumbu Gletschers beschert uns bei herrlichstem
Vormonsunwetter ein großartiges, nicht sehr anstrengendes und kaum gefährlich zu
nennendes Himalayaerlebnis. Das vergleichsweise angenehme Steigen unter Riesenseracs
hindurch und an durchsichtigen, blau-grün schimmernden Eisbergen und tausendfachem
Büßer eis vorbei zum Fuß des Khumbu Eisbruches, der immer noch das größte Hindernis
bei einer jeden Everestexpedition darstellt, ruft Begeisterung hervor und läßt viele
Strapazen der letzten Wochen vergessen. In einer einmalig schönen Berglandschaft von riesenhaften Dimensionen flattert vor einer grandiosen Eis- und Schneekulisse die rote Fahne der Sowjetunion, umgeben von einem Kranz der höchsten Berge der Welt. Der Blick reicht vom Pumori, der als einer der schönsten Berge gilt, das berühmte Amphitheater auf dem Dach der Welt entlang, über Lingtren und Khumbutse zur Everest Westschulter. Dazwischen liegt der sich steil aufwölbende Lho-La, der die Grenze zu Tibet bildet, und dahinter der Everest Nordgipfel, der Changtse. Im Südwesten steigt die lawinendurchtoste, ungeheuerlich steile, aus Hängegletschern und Eismassen bestehende Nuptse Westwand auf. Leider wird dieser einmalige Platz auch die höchste Müllhalde der Welt bezeichnet. Zu viele Expeditionen haben hier schon gelagert und zu wenig Disziplin bewahrt. Hoffentlich kann auf Dauer der "Sagarmatha Nationalpark" dieser rücksichtslosen Verschmutzung Einhalt gebieten. Wir werden im Basislager der sowjetischen Mammutexpedition, die unter Leitung von Jewgenij Tamm steht, mit großartiger Gastfreundschaft aufgenommen. Diese freundliche Aufnahme steht in starkem Gegensatz zu der Art und Weise, wie fremde Gäste in Basislagern von anderen, meist westlichen Expeditionen empfangen werden. Die sowjetische Expedition besteht aus sechzehn Spitzenbergsteigern, außerdem zwanzig Wissenschaftlern, Journalisten und allgemeinem Organisationspersonal, den Sherpaführern und Hunderten von Trägern, die ständig zwischen der Flugpiste Lukla und dem, sechs Tagesmärsche entfernten, Basislager hin- und herpendeln. Das Lager ist im großen Stil der frühen Everestexpeditionen mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet. Es gibt eine Sauna, auf der die kyrillischen Buchstaben "CCCP" prangen. Die Verpflegung könnte selbst in einem Moskauer Luxushotel nicht besser sein. Allerdings erreicht die Sowjetische Expedition nicht den Aufwand der Italienischen Everest Expedition 1973, die unter Führung des italienischen Zeitungsmagnaten, Guido Monzino, zur umfangreichsten Everestexpedition aller Zeiten ausartete. Der Expeditionsleiter hatte ein mit Teppichen ausgelegtes Fünfzimmerzelt mit Polstermöbeln und einem Riesenschreibtisch mit gedrechselten Löwenfüßen, die von den Trägern den Khumbugletscher hochgeschleppt werden mußten. Zum Materialtransport durch den Khumbu Eisbruch wurden mehrere Hub schrauber eingesetzt, wovon einer im Eisbruch abstürzte. Edmund Hillary besuchte damals das Basislager, und sein Kommentar - "Hier ist jetzt der Höhepunkt der Lächerlichkeit erreicht" - brachte ihn beinah in große diplomatische Schwierigkeiten. Fünf Italiener und drei Sherpa erreichten auf der schon oft begangenen Normalroute den Gipfel. Der Aufwand stand in keinem Verhältnis zum Erfolg. Die moderne Bergsteigergeneration im Himalaya versetzte der "Expedition im Kolonialstil" den Todesstoß, und es ist schwer verständlich, warum die ehemalige Sowjetunion 1982 diese schon damals überholte Idee wieder erwärmte.Die Sowjets wollen auf der bisher schwierigsten Route am Everest durch die Südwestwand den Gipfel erreichen. Die Steilwand dieser Route, die links der britischen Führe von 1971 verläuft, bei der Chris Bonington das erste Mal gescheitert ist, beträgt im Durchschnitt zwischen fünfzig und sechzig Grad. Wie man schon bei Bonington nachlesen kann, sind Sicherungen nur schwierig anzubringen, da der Fels hier sehr dicht ist. Die Sowjets gehen mit ihrer Expedition offenbar auf Nummer Sicher. Einen Misserfolg können sie sich auf gar keinen Fall leisten, da diese "Expedition im alten Stil" noch dem nationalistischen Prestigegedanken verhaftet ist. Das miserable Aussehen der schlecht ausgerüsteten Sherpaträger, die nur die von der nepalischen Regierung vorgeschriebenen Minimumlöhne erhalten, steht im krassen Gegensatz zu der guten Ausstattung des Basislagers. Die Höhenträger, dagegen, die ihre Lasten bis auf eine Höhe von 7 000 Meter und 8 000 Meter zu bringen haben, bekommen sehr hohe Erfolgsprämien, die jeden gekannten Rahmen sprengen, der bei solchen Expeditionen üblich ist. Es fällt auf, daß die Bergsteiger alle Russen mit europäischen Gesichtern sind. Andere Völker der - ehemaligen - Sowjetunion sind nicht vertreten. Trotz der Propagierung der absoluten Gleichberechtigung der sowjetischen Frauen hat die Expedition auch keine weiblichen Mitglieder. Ich frage den Leiter des sowjetischen Fernsehteams, Jurij Alexandrowitsch Senke witsch, nach den Gründen. Er antwortet mir, daß man seit der Katastrophe der Frauenexpedition im Pamir, durch die vor einigen Jahren sieben oder acht sowjetische Spitzenbergsteigerinnen umgekommen sind, keine Frauen mehr auf Expeditionen mitnehmen will. Ich kann dieses Argument nicht ganz einsehen. Schließlich sterben jedes Jahr auch genügend männliche Bergsteiger in den Bergen der Welt.Senkewitsch, der unter anderem die zwei Expeditionen Thor Heyerdahls auf der "Rah" und der "Tigris" als Schiffsarzt begleitete, erzählt mir von einem interessanten psychologischen Musikexperiment, das der Höhen psychologe während der Expedition durchgeführt hat. Die sechzehn Bergsteiger bekamen jeder ein modernes japanisches Kleintonbandgerät und konnten sich an Musikkassetten mitnehmen, was immer sie wollten. Während der Anpassungsphase auf dem sechzehntägigen Anmarsch von Kathmandu in das Everest Basislager hörten die überwiegend jungen Bergsteiger hauptsächlich nur den von ihnen geschätzten westlichen Pop. Je höher sie aber am Everest kamen, desto mehr verloren Pop und Rock und gewann die klassische Musik. Über 8 000 Meter war nur noch Johann Sebastian Bach gefragt. Für Jurij Alexandrowitsch ist das eine logische Entwicklung: "Je höher man an den Himmel herankommt, desto näher kommt man die Wahrheit."Durch den Zustand dauernder Gefahr und durch die übergroße Anstrengung wird das emotionelle Gleichgewicht des Himalayabergsteigers oft labil. Musik, und gerade die von Altmeister Johann Sebastian Bach, kann hier eine große und tröstliche Hilfe sein. Denn der gering gewordene Sau erstoffdruck bringt nicht nur das emotionelle Gleichgewicht ins Wanken, sondern schafft zwischen den Bergsteigern oft auch höhenpsychologisch bedingte Konflikt situationen, in die man sich so verrennt, daß man kaum wieder aus dem Teufelskreis herausfindet. Ich bemerke, zum Beispiel, daß Bruce Campbell-Watt mit "Mord in den Augen" um unser Zelt schleicht, wenn ich meinem trostbedürftigen Gemüt die soundsovielte Bachkantate zuführe. Bruce selbst liest nur Dramen von Shakespeare, was mich nicht weiter stört. Was dem einen sein Bach ist, ist dem anderen sein Shakespeare, und jeder versucht, so gut er kann, über die seelischen Hürden zu kommen.Ich weiß nicht, welche Schlüsse die sowjetische Psychologie aus den Musikversuchen am Mount Everest gezogen hat. Vielleicht haben sie zu der Umwandlung von der Sowjet union zu Russland beigetragen. Ich kann nur hoffen, daß Johann Sebastian Bach nicht nur für die notwendige seelische Unterstützung gesorgt, sondern auch die Freundschaft zwischen den russischen Bergsteigern erhalten hat.Ich wundere mich, daß die Sowjetische Expedition in der Person von Jurij Kononow einen Geologen dabei hat. Das Rätselraten über die Anwesenheit eines Geologen am Mount Everest löst sich später. Die Expedition handelt auch ein umfangreiches wissenschaftliches Programm ab. Unter anderem wird festgestellt, daß sich der Himalaya immer noch in der Auffaltungsphase befindet und daß der höchste Berg der Welt jedes Jahr noch um einen messbaren Teil wächst. Die tibetischen Sedimentkalke, aus denen der Gipfel des Everest besteht, schieben sich weiter über die darunter liegenden Paragneise und Granite der Khumbu-Schichten. Das Dach der Welt ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen, und künftige Bergsteigergenerationen können eines Tages, mit oder ohne Sauerstoff, vielleicht einen Neuntausender besteigen. Hier, im Basislager der Sowjetischen Expedition zum Everest 1982, höre ich die faszinierende Geschichte, daß ein chinesischer Bergsteiger, Wang Hung Boa, die Leiche eines mumifizierten Bergsteigers in etwa 8 500 Höhe an der Nordwand des Everest, etwas unterhalb des Nordostgrates zwischen der sogenannten ersten und zweiten Stufe, entdeckt habe. Die Entdeckung sei während der Chinesischen Everestexpedition 1975 über die klassische Nordroute der britischen Vorkriegsexpeditionen gemacht worden. Damals stand die erste Frau, die Tibeterin Phantog, auf dem höchsten Berg der Welt, und damals wurde von den Chinesen auch der berühmte dreibeinige Vermessungspunkt auf dem Gipfel errichtet. Wang Hung Boa soll die Leiche ganz in der Nähe jener Stelle gesehen haben, an der während der vierten Britischen Expedition 1933 unter Leitung von Hugh Ruttledge der Bergsteiger Wyn Harris einen Eispickel fand, der entweder Mallory oder Irvine gehört haben muß (Das mysteriöse Verschwinden von zwei britischen Bergsteigern, George Leigh Mallory und Andrew Irvine, 1924, während der dritten Britischen Everestexpedition über den tibetischen Nordgrat ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt, trotz des Fundes von Mallorys Leiche vor einigen Jahren). Diese sensationelle Geschichte wurde erst 1979 im Westen bekannt. Wang erzählte sie als Teilnehmer einer Japanischen Expedition. Leider stürzte er jedoch in eine Gletscherspalte, bevor er den japanischen Bergsteigern den genauen Fundort zeigen konnte. Auch das rätselhafte Scheitern einer niemals offiziell bestätigten Sowjetischen Everest Expedition 1952 unter Leitung des weltbekannten sowjetischen Bergsteigers Pawel Datschnolian gehört zu den ungelösten Geheimnissen. Damals soll die gesamte Gipfelmannschaft umgekommen sein. Pawel Datschnolian ist nach 1952 nie wieder gesehen worden. Im Westen blieben Gerüchte im Umlauf, daß die Sowjets zu Stalins Zeiten versucht hätten, vor den Briten als erste den Mount Everest zu besteigen, und gescheitert seien. Ich frage den Leiter der Sowjetischen Expedition '82 nach diesem geheimnisvollen Unternehmen, das vor mehr als vierzig Jahren durchgeführt worden sein soll. Tamm erklärt mir in unzweideutigen Worten, daß eine solche Expedition niemals stattgefunden hätte und daß dies der offizielle Standpunkt des Sowjetischen Bergsteigerverbandes sei. Das würde durch den offiziellen Namen dieser Expedition bestätigt: "Erste Sowjetische Expedition zum Everest '82". Die Wahrheit wird vielleicht erst jetzt an das Licht kommen. Interessant ist auch in diesem Zusammenhang, daß die Sowjets 1982 den "kolonialen" Namen, Everest, und nicht den tibetischen Namen, Chomo Lungma, verwendeten. |
Vom Everest Base Camp trekkten wir zurück über den Khumbu-Gletscher nach Lobuche und Pheriche. Von dort wendeten wir uns in eine östliche Richtung nach Dingboche und Chukung südlich der Lhotse Süd-Wand.
Copyright of Map: Research Scheme Nepal Himalaya (Schneider Maps):
Mahalangur Himal - Chomolongma-Mount Everest: 1 : 25 000
Dingboche 4 412 m liegt südwestlich der mächtigen
Nuptse-Lhotse Süd-Wand: Kartoffeln werden als Hauptnahrungsmittel der Sherpa bis fast 5
000 m angebaut
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Die Nuptse-Lhotse Nuptse-Lhotse Süd-Wand: Mit dem
Lhotse-Gletscher im Vordergrund: Blick nach Norden
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Die Lhotse Süd-Wand (links 8 501 m) und Lhotse Shar (8 343 m:
Ost-Gipfel der Lhotse-Gebirgskette): Mit dem Lhotse-Gletscher im Vordergrund: Blick nach
Norden
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Amai Dablam 6 856 m vom Sherpa-Dorf Bibre: Blick nach Süden
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Die letzte menschliche Siedlung für viele Wochen ist das
Sherpa-Dorf Chukhung: Blick nach Westen
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Von der Lhotse-Südwand im Norden verliessen wir die West-Ost-Richtung und trekkten nach Süden zur Baruntse-Gebirgskette und dem Amphu Laptsa.
Copyright of Map: Research Scheme Nepal Himalaya (Schneider Maps):
Mahalangur Himal - Chomolongma-Mou
Wir trekkten parallel zu den Lhotse- und Imja-Gletschern nach
Osten: Im Norden befindet sich die Gebirgsmauaer des Lhotse-Massivs und im Süden die
Tsiringma 6 238 m: Unsere Träger-Mannschaft mit DawaThondup und Ang Tschumbi in der
Mitte: Blick nach Westen
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Zwischen Amai Dablam im Westen und dem Amphu Laptsa im Osten
liegt einer der schönsten Himalaya-Berge: Tsiringma 6 238 m: Blick nach Süden
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Der Jüngste unser Träger ist Mingma, einer der Söhne von Dawa
Thondup: Zwei Tage später hatte er ein seltsames (behauptetes) Treffen mit einem
Schneemenschen (Yetih) auf dem Baruntse-Gletscher
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Auf dem Wege zum Amphu Laptsa Base Camp: Großartige Sichten auf
die Lhotse Süd-Wand: mit dem Lhotse-Hauptgipfel 8 501 m zur Linken und Lhotse Shar
(Ost-Gipfel) 8 343 m zur Rechten: Der Imja-Gletscher im Vordergrund (linkes Photo)
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Auf dem Wege zum Amphu Laptsa Base: Die Gipfel östlich der
Lhotse-Kette
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Blick nach Süden: Die Amphu Laptsa Eiswand kommt in Sicht
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Blick nach Süden: Amphu Laptsa Base Camp auf dem
Baruntse-Gletscher
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Blick nach Süden: Die Baruntse-Bergkette, östlich vom Amphu
Laptsa
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Die eigentlichen Probleme beginnen erst am Amphu Laptsa,
jener abschreckenden Fels- und Eiswand, die sich weit über sechstausend Meter auftürmt,
zwischen Lhotse und dem unzugänglichen Hongu. Sir Edmund Hillary, Erstbesteiger des Mount
Everest im Jahre 1953, den wir im Sherpadorf Khunde treffen, warnt uns vor den nicht zu
unterschätzenden Gefahren des Amphu Laptsa: Lawinen- und Steinhagelgefahr an der
ausgesetzten, steilen Wand, die sich tausend Meter über dem Baruntsegletscher aufbaut. In
seinem Buch "Gipfelstürmer und Schneemenschen" bezeichnet Hillary die Route
über den Amphu Laptsa, West Col und Sherpani Col als einen furchterregenden Zugang zum
Makalu. Den Trashi Laptsa zwischen Rolwaling und Khumbu hält er jedoch immer noch für
den gefährlichsten Bergübergang der Welt, an dem fast in jedem Jahr Bergsteiger
umkommen. Nachdem ich den Trashi Laptsa nun schon mehrere Male angepackt und gemeistert habe, halte ich den Amphu Laptsa zwischen dem Khumbu und dem Hongu doch noch für eine Klasse schwieriger. "Am Amphu Laptsa kann niemand umkommen, weil es niemand wagt, ihn anzupacken". Diese Bemerkung hören wir von vielen erfahrenen Himalayabergsteigern. Für die Amphu Laptsa Übersteigung 1982 müssen wir uns durch sorgfältige Akklimatisierung besonders gut vorbereiten. Nach mehreren Wochen Aufenthalt in großen Höhen haben wir das Gefühl, gut genug für das angepasst zu sein, was vor uns liegt und was wir fürchten. Die Angst ist ein häufiger Begleiter auf Himalaya-Expeditionen. Vor kritischen Passagen, wie hier am Amphu Laptsa, verdichtet sie sich zu ständigen Zweifeln und panikbefangener Furcht, besonders in den stockdunklen, lawinendurchtosten, eiskalten Himalayanächten. Am nächsten Morgen sieht alles wieder ganz anders aus. Die Angst wird von Anstrengung und intensiver, bergsteigerischer Aktivität verdrängt. Die Anpassungsphase am Beginn einer Expedition und die lange Vorbereitungszeit zu Hause dienen auch noch einem anderen Ziel. Man braucht in großen Höhen eine beträchtliche Willenskraft zum Bergsteigen, da schon das normale Leben und Atmen ohne körperliche Anstrengung zur Qual wird. Die für diese Willensanstrengung notwendige seelische Kraft muß über lange Zeit hinweg entwickelt werden. Nur so können später in der kritischen Phase einer Expedition verdichtete Energie und Zähigkeit aufgebaut werden, auf die dann in großen Höhen zurückgegriffen werden kann. Wir sollten diese seelische Kraft während eines kritischen Stadiums der Namibia Himalaya Expedition 1982, nämlich bei der Überschreitung der abschreckend schwierigen Amphu Laptsa Gebirgskette zwischen Mount Everest und Makalu, noch sehr nötig haben. Die Tibeter haben ein Sprichwort, das besagt, daß es Unheil bringe, wenn man sich den Thronen der Himalaya-Götter nähere. Eine der größten Gefahren bei einer Expedition in den Hoch-Himalaya sind neben den natürlichen Risiken - wie Gletscherspalten, Lawinen, Neuschnee und Schlechtwetterverhältnissen - der Tod durch Erschöpfung und die berüchtigte Höhenkrankheit. Diese unberechenbare Krankheit kann bereits in Höhen von drei- bis viertausend Meter auftreten und wird durch den abnehmenden partiellen Sauerstoffdruck hervorgerufen, der schwere Störungen im Körper zur Folge hat. Die Atmosphäre besteht bis auf eine Höhe von 11 000 Meter aus etwa 21 Prozent Sauerstoff und 79 Prozent Stickstoff sowie Edelgasen. Der Luftdruck beträgt auf Meereshöhe 760 Millimeter Quecksilbersäule und in 5 600 Meter Höhe nur noch 380 Millimeter. Mit dem Sauerstoff- Stickstoff-Verhältnis beträgt der Sauerstoffdruck auf Meereshöhe 150 Millimeter Quecksilbersäule und auf 5 600 Meter Höhe nur noch die Hälfte, nämlich 75 Millimeter. Es muß bei der Höhenkrankheit zwischen milden und lebensbedrohenden Symptomen unterschieden werden. Die milden Symptome, wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Appetit- und Schlaflosigkeit, Kurzatmigkeit, hartnäckiger Höhenhusten und Antriebsarmut bekommt jeder Höhenbergsteiger irgendwann einmal. Diese Krankheitszeichen verschwinden gewöhnlich nach einigen Wochen Akklimatisierung. Optimalerweise kann in fünf Wochen Aufenthalt in über 5 000 Meter Höhe eine fünfundachtzig prozentige Anpassung erreicht werden. Die indische Armee hat bei großangelegten Forschungsvorhaben über Höhenanpassung im Himalaya festgestellt, daß auf 5 600 Meter Höhe beim nichtangepassten Bergsteiger, selbst in Ruhestellung, Kopfschmerzen, Ermüdungszustände, Erbrechen und schwere Atemschwierigkeiten auftreten. Unter Last, beim aktiven Bergsteigen, kommen weitgehende Lethargie, getrübtes Urteilsvermögen, allgemeine Schwäche, die sich bis zur Bewusstlosigkeit steigern kann, hinzu. Die schweren Symptome, wie Lungen- und Gehirnödem, stellen fast immer ein tödliches Risiko dar. Es gibt immer noch keine zuverlässige wissenschaftliche Theorie über die Bekämpfung der Höhenkrankheit. Sie ist unheimlich, nicht kalkulierbar und kann auch bei bester Kondition und Höhenerfahrung jederzeit auftreten. Oft werden gerade junge, erfahrene und besonders leistungsfähige Bergsteiger von ihr heimgesucht. Es gibt noch keine medizinische Vorbeugungsmaßnahmen. Medikamente bekämpfen bestenfalls die milden Symptome. Die beste Vorbeugung bei einer Expedition ist nach wie vor eine genau geplante Akklimatisierungsphase, wobei man im Durchschnitt pro eintausend Höhenmeter über viertausend Meter eine Woche Anpassung veranschlagen sollte. |
Am frühen Morden des 1. Mai 1982 begannen
wir unseren Einstieg in die Baruntse-Wand: Unser jüngster Träger, Mingma, war von seinem
Vater , Dawa Thondup, zu seinem Dorf Khunde zurückgeschickt worden, weil die
Übersteigung des Amphu Laptsa als zu gefährlich für den Jungen als zu gefährlich
angesehn wurde
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Der Aufstieg auf den Amphu Laptsa: Blick zurück
nach Norden zur Lhotse-Bergeskette: Wir wähnten Mingma auf sicheren Wege zurück in das
Sherpaland
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Der Aufstieg auf den Amphu Laptsa: Blick nach
Südosten in die Amphu Laptsa-Lücke
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Der Aufstieg auf den Amphu Laptsa: Blick nach
Südosten in die Amphu Laptsa-Lücke: Ang Tschumbi spurt im tiefen Schnee auf dem
Laptsa-Gletscher (zweitlinkes Photo): Hier holte uns ein ershöpfter Mingma ein und
berichtete, dass er auf dem Baruntse-Gletscher eine Schneemenschen (Yetih) getroffen
hätte, und dass er lieber mit uns den Amphu Laptsa queren würde: Den Wahrheitsgehalt
dieser schönen "Yetih-Geschichte" konnte ich nie feststellen (Siehe auch
:"Ein Schneemensch hat mir gerade noch
gefehlt")
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Der Aufstieg auf den Amphu Laptsa: Wir haben fast
den Gipfel des Amphu Laptsa 5 980 m erreicht mit Baruntse 7 220 m von Nordwesten
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Der Aufstieg auf den Amphu Laptsa: Blick nach
Norden zur Lhotse-Kette, hinter der jetzt der Mount Everest auftauchte, mit vielne neuen
Gipfeln im Osten wie Pethangtse 6 710 m, Chago 6 860 m und Kangchungtse 7 640 m: Auf
dem rechten Photo unser Sherpa-Führer Dawa Thondup
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Der Aufstieg auf den Amphu Laptsa: Wir haben fast
den Gipfel des Amphu Laptsa 5 980 m erreicht: Neue Aussichten öffneten sich nach
Süden in den menschenleeren Hongu: Rechtes Photo: Auf der linke Seite in der Mitte
können Sie die Zugangsroute zum Makalu erkennen: Die Eiswand des West Col
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Wir haben den Gipfel des Amphu Laptsa 5 980 m
erreicht: Klaus Dierks auf dem linken Photo: 01.05.1982: Ang Tschumbi auf dem rechten
Photo
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Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Nachdem wir den spaltenreichen Baruntsegletscher
überwunden haben, beginnt der strapaziöse, schwierige Einstieg in die Wand am Amphu
Laptsa. Mühsam nach Atem ringend, kämpfen wir uns Meter um Meter hoch. Die Anstrengung
ist so groß, daß man die Gefahr um sich herum nicht mehr wahrnimmt. Die Welt besteht nur noch aus dreißig quälenden, mühsamen Schritten. Dann bleibt man, zutiefst erschöpft, schnaufend, nach Luft ringend, den gebückten Oberkörper auf den Eispickel herunter gebeugt, stehen, wobei der etwa zwanzig Kilogramm schwere Rucksack ins Genick kippt. Für einige Minuten besteht der Mensch nur noch aus atmen, atmen. Erst dann beginnt man wieder klar zu sehen, die gewaltige Umwelt um sich herum wahrzunehmen. Unter uns laufen mehrere Gletscher wie auf einer Autobahnkreuzung zusammen. Drüben türmt sich der Lhotse mit seiner furchtbaren, zerklüfteten, lawinendurchtobten Südwand, dahinter die fast schneefreie Gipfelpyramide des Mount Everest. So wie wir uns die steil geneigten, ausgesetzten, mit gefährlichem Neuschnee bedeckten Hänge hochquälen, tauchen immer neue Berge, phantastische Schlagsahnekompositionen auf. Die eis- und schneebedeckte Wand will und will kein Ende nehmen. Es geht stundenlang am Seil steil hoch. Der Rucksack droht, einen in den Abgrund zu ziehen. Wir balancieren an senkrechten Abstürzen entlang, die auf die etwa tausend Meter tiefer liegenden Gletscher herunterfallen. Immer noch drohen wir abzurutschen, das Gleichgewicht zu verlieren, wenn man tief, oft bis an die Hüften, in den dicken, am Tage tauenden Schnee einsinkt. Um uns herum sieht man die zahlreichen Lawinenspuren - oder sind es Yetispuren? Gerade hier am Amphu Laptsa soll der geheimnisvolle Schneemensch sein Unwesen treiben, und ausgerechnet hier haben wir einen rätselhaften Kontakt mit diesem Fabelwesen des Himalaya. Darüber soll an späterer Stelle berichtet werden. Wir gewahren auch die Schneebrettgefahr - der ganze Abhang kann mit uns rettungslos ins Rutschen in die Ewigkeit geraten. All das berührt uns nicht mehr, die Anstrengung in über sechstausend Meter Höhe ist zu groß. Der Eispickel ist immer wieder der letzte Haltepunkt. Da der Schnee zu weich ist, helfen die Steigeisen wenig. Nur selten noch habe ich die Energie, meine Kamera aus dem Rucksack zu holen. Die Landschaftsbilder prägen sich meinem Gehirn ein. Die Photo können ohnehin nicht die volle Wirklichkeit festhalten, die grauenvolle Tiefe, die Angst vor der Tiefe. Es ist nicht nur die Dimension des Raumes, die meinen Photo fehlt, sondern auch die Dimension der Anstrengung und des Kletterns. Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Höhe jede Energie nimmt. Sonst bin ich ein leidenschaftlicher Photograph, und ein versäumtes gutes Motiv macht mich schlechtgelaunt. Hier lasse ich die schönsten Bergmotive der Welt achtlos liegen. Es ist die lähmende Höhenfaulheit, die den Himalayabergsteiger W. Tilman sagen läßt, "die häufigste aller Bergkrankheiten sei das unbegreifliche Zögern des Bergsteigers, einen Fuß vor den anderen zu setzen". So wie wir Seillänge um Seillänge hochkommen, tauchen neue Berge auf, der Makalu 2 oder Kangchungtse, der Chomo Lönzo, Chago, Shartse und viele gewaltige Berge in Tibet, die ich nicht identifizieren kann. Irgendwann hat alle Schinderei ein Ende. Nach einer letzten schwierigen Felskletterei über eine vereiste Wand, nach kurzem Stufenschlagen mit dem Eispickel in eine kurze senkrechte Eismauer - der letzte Tropfen im Eimer der Erschöpfung - geht es nicht mehr höher. Wir sind oben! Die Sherpa schreien ihr uraltes Mantra "Cha gyal lho - die Götter haben gesiegt" in den schneidenden Höhensturm und opfern den Göttern Tibets etwas Tsampa. Ich baue eine kleine Steinpyramide und verstecke darunter meine einzige, volle Büchse "Windhoek Lagerbier". Möge das Opfer gnädig aufgenommen werden und mir diese Umweltsünde verziehen sein! |
Vom höchsten Punkt des Amphu Laptsa seilten wir uns durch den
Eisbruch in den Hongu und nach Panch Phokari (Fünf Seen): Zur Linken: Amai Dablam 6 856 m
von Südosten
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Abseilen durch den Amphu Laptsa-Eisbruch: Das rechte Photo zeigt
Bruce Campbell-Watt beim Sichern und das zweite Photo von rechts: Dawa Thondup
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Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Neue unbeschreibliche Ausblicke in den wilden,
menschenleeren Hongu öffnen sich vor uns. Wir sehen einen Ozean von unbestiegenen,
unvermessenen, namenlosen Sechs- und Siebentausendern. Wir sehen den über 7 200
Meter hohen Chamlang, den fast 7 000 Meter hohen Mera, den West Col mit seinen
bösartig aussehenden Eiswänden und einige eisbedeckte Seen, Panch Pokhari, tief unter
uns. Der Abstieg hat es auch noch in sich. Wir hatten früher von einigen erfahrenen Himalayabergsteigern gehört, daß der Abstieg in den Hongu leicht und daß nur die Steilwand auf der Khumbuseite schwierig sei. Wir hatten gehört, daß ein großer Gletscher allmählig zu den vereisten Honguseen abfiele. Stattdessen müssen wir auf der Südseite des Amphu Laptsa durch einige Eisbrüche hindurchklettern, die sich wie Sinterterrassen übereinander aufbauen. Über etwa dreihundert Meter müssen wir uns im Zustand totaler Erschöpfung abseilen. Oft genug benutzen wir nach Sherpaart unser Hinterteil als Fortbewegungsmittel und den Eispickel als Bremse. Elegantes Bergsteigen gibt es im Himalaya nur äußerst selten. Hier wird der Stil von der Natur bestimmt. Die tibetischen Berggötter Himachal und Tseringma entscheiden, ob wir erfolgreich sein dürfen, nicht unsere bergsteigerischen und körperlichen Fähigkeiten. |
Panch Phokari: Blick nach Südosten in den Hongu
in Richtung Chamlang 7 290 m
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Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Am Rande des etwa 5 400 Meter hohen, ewig zugefrorenen Gletschersees, Panch Pokhari, beziehen wir Lager. Zelte werden aufgebaut, Schlafsäcke in der Sonne ausgelegt, eine Kleinstwäsche, soweit Wasser vorhanden, zelebriert, Primuskocher in Gang gesetzt - das typische Leben in einem Hochlager im Himalaya. Unser Dasein besteht nur noch aus zermürbender Bergsteigerei, einer Aneinanderreihung von Erschöpfungszuständen, dem widerwilligen Verzehr von dem, was die Vernunft vorschreibt und die nicht sehr abwechslungsreiche Sherpaküche liefert, sowie der erzwungenen Einnahme von großen Flüssigkeitsmengen, die für die Höhenanpassung nötig sind. Der Körper versucht, den geringer gewordenen partiellen Sauerstoffdruck durch die vermehrte Produktion von roten Blutkörperchen auszugleichen. Das Blut wird durch diesen Prozeß dicker, und damit wird die Durchblutung der Gliedmaßen schlechter, die Erfrierungsgefahr wächst. Die Erfrierung von Händen und Füßen kann schon bei durchaus geringen Kältegraden auftreten. Deshalb muß der Körper mit großen Flüssigkeitsmengen versorgt werden, wenigstens fünf Liter am Tag, auch wenn man in der großen Höhe oft keinen Durst hat und den tibetischen Buttertee als Energie- und Wärmespender in sich hineinzwingen muß. Die Farbe und Menge des Urins muß aus diesem lebenswichtigen Grunde ständig kontrolliert werden. Die Urinmenge sollte wenigstens eineinhalb Liter am Tage betragen. |
Von Panch Pokhari querten wir den schwierigen Hongu-Gletscher auf unserem Wege zum West Col Base Camp.
Hinter dem Hongu-Gletscher taucht der Baruntse 7
220 m auf: Blick nach Norden
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Auf unserem Wege von Panch Phokari zum West Col
Base Camp hatten wir gute Sicht auf den Hongu-Gletscher und den West Col 6 350 m im
Hintergrund: Blick nach Osten
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Rast auf dem Hongu-Gletscher
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Der Hongu-Gletscher mit Sicht nach Norden zum
Baruntse 7 220 m
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Der Hongu-Gletscher mit Sicht nach Osten zum West
Col 6 350 m
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Der Hongu-Gletscher: West Col Base Camp: Blick
nach Norden
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Der Hongu-Gletscher: Blick vom West Col Base Camp
nach Westen zum Amai Dablam
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Am nächsten Morgen war Bruce Campbell-Watt zu schwach, um aufzustehen und den Aufstieg auf den West Col fortzusetzen.. Wir befürchteten, dass er eine akuten Anfall der "Acute High Altitude Mountain Sickness" hatte. Wir entschieden, dass Bruce einen Ruhetag haben sollte, und dass wir inzwischen eine geeignete Aufstiegsroute auf den West Col ausmachen könnten.
Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Die nächste schwierige Passage ist die Überschreitung des West- und des Sherpani Col. Beide vergletscherten Pässe sind fast sechstausendfünfhundert Meter hoch. Dazwischen liegt ein Gletscherbecken, das selbst auch über sechstausend Meter hoch ist. Mit der erfolgreichen Überwindung des Sherpani Col haben wir den Schlüssel zum Makalu Basislager in der Hand. Leider macht uns die Schneegöttin des Himalaya, Himachal, einen Strich durch die Rechnung. Durch die schwere Höhenerkrankung meines Bergkameraden Bruce müssen wir den ursprünglichen Plan, zum Makalu zu gehen, aufgeben, und stattdessen so schnell wie möglich in tiefere Lagen absteigen. Es ist die einzige Rettungsmöglichkeit, die es für uns gibt. Schon ein Durchfall oder ein kleines Magenproblem macht jedes Bergsteigen in diesen Höhen zu einem nicht kalkulierbaren Risiko. Der nächste Arzt wäre in etwa sechs Tagesreisen zu erreichen. Dazwischen liegt aber der Amphu Laptsa. Diese Möglichkeit scheidet also aus. Leider haben wir keinen Sauerstoff dabei, der bei einem Lungenödem geholfen hätte. Wir glaubten - fälschlicherweise, wie es sich hier am Fuße des West Col erweist -, daß man sich am besten auf seine eigenen Körperkräfte verlässt, während der mitgenommene Sauerstoff nur eine verkehrte Sicherheit vorspiegelt. |
Erkundungs-Aufstieg auf den Rand des West Cols 6
350 m: Blick nach Westen mit Amai Dablam im Hintergrund
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Erkundungs-Aufstieg auf den Rand des West Cols 6
350 m: Blick nach Osten zum West Col
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Erkundungs-Aufstieg auf den Rand des West Cols 6
350 m: Ehe wir in die steile Eiswand einstiegen hatten wir vier Mal einen gefährlichen
Bergschrund zu queren
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Erkundungs-Aufstieg auf den Rand des West Cols 6
350 m: In der Eiswand zum höchsten Punkt des West Cols
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Erkundungs-Aufstieg auf den Rand des West Cols 6
350 m: Auf dem höchsten Punkt des West Cols: Blick nach Nordwesten zum Amai Dablam und
Cho Oyu
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Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Ehe wir am West Col das Basis Lager in einer Höhe von 5 600 Meter
abbrechen, machen unsere beiden Sherpa, Dawa Thondup und Ang Tschumbi, und ich noch einen
Versuch, den West Col selbst zu besteigen. Die riesigen Eisaufschwünge südlich des
gewaltigen Baruntse sehen vom Basislager nicht gerade einladend aus. Wir steigen zunächst
durch den Eisbruch des Hongu Gletschers auf den West Col Gletscher, der allmählig zu
einer steil aufschwingenden Eiswand aufsteigt, die sich wie der Rand einer Suppenschüssel
hochwölbt. Auf einer anspruchsvollen Eistour erreichen wir bei klarem Wetter und starkem Höhensturm den höchsten Punkt des West Col. Die Fernsicht - in einer Höhe von 6 350 Meter - nach Westen bis zum Gaurisankar, Melungtse und Cho Oyu ist unbeschreiblich eindrucksvoll. Ehe wir in die etwa fünfzig Grad geneigte Eissteilwand einsteigen, müssen wir auf fragwürdigen, zerbrechlich wirkenden Eisbrücken insgesamt viermal einen in sich in grundloser, blau-schwarzer Tiefe verlierenden Bergschrund überqueren. Mit normaler Seilsicherung wäre die Überquerung ein bergsteigerisches Routinemanöver. Wir haben aber aus Gründen, die ich mir nachträglich nicht erklären konnte, kein Seil mitgenommen. In der dünnen Luft wird das Denkvermögen offensichtlich stark herabgesetzt. Oder habe ich bereits mein persönliches "Hallelujahstadium" erreicht? Nur so ist es zu erklären, daß ich jedem meiner Sherpa hundert nepalische Rupien, das sind etwa sechs US-Dollar, anbiete, wenn wir den West Col ohne Seil, nur mit Eispickel und Steigeisen ausgerüstet, erklettern. Auf diese lebensgefährlich leichtsinnige Weise, die Frontalzacken unserer Steigeisen in die fast lotrechte Eiswand festgekrallt, erreichen wir den höchsten Punkt des West Col. Hier oben orgelt der eiskalte Höhensturm wie hundert gleichzeitig fahrende und bremsende Schnellzüge in einem teuflischen Crescendo. Beim Photographieren merke ich, daß meine Hände erstarrt, angefroren sind. Ich spüre beim Reiben einen Schmerz in den Fingern. Beim Klettern auf dem Steilhang kamen die Hände immer wieder mit Schnee und Eis in Berührung. Ich zog auch einige Male beim Photographieren die Daunenhandschuhe aus. Der eisige Sturm mit über hundert Stundenkilometern tut bei zwanzig Grad unter Null den Rest, zumal der Kreislauf des Blutes wegen der vermehrten roten Blutkörperchen nicht mehr gewährleistet ist. Ich reibe meine Hände, wärme sie am Körper, aber der Schmerz wird nicht besser. Die Sherpa sehen meine Not. Dawa Thondup verhütet das Schlimmste, indem er meine Hände an den wärmsten Stellen seines Körpers wärmt und auf sie uriniert. Meine Hände sind weiß, erstarrt, geschwollen. Ich ahne in diesem Moment, daß ich vielleicht nicht mehr den vollen Gebrauch meiner Hände haben werde. Ich weiß aber auch , daß alles, was wir erlebt haben, das alles wert ist. Schmerz und Verzweiflung überschatten den Abstieg. Die Sherpa leiten mich vorsichtig an den Händen haltend und mit den Pickeln stützend über die vielen Gletscherspalten hinweg. Da harte Eisteile mit weichem Neuschnee abwechseln, ziehen sie auch ständig meine Steigeisen an und aus, für alle Beteiligten eine Quälerei. Ich erlebe wieder den tobenden Sturm, die Eisnadeln, die sich in mein Gesicht bohren. Es ist ein schwerer Abstieg. Ich erlebe aber auch die Geborgenheit und Freundschaft der Sherpa, die Brücke zwischen Menschen verschiedener Kulturkreise, die plötzlich entsteht. Es sind Dawa Thondup und Ang Tschumbi, die hier ihre große Leistung vollbringen. Wir erreichen den Eisbruch. Ang Tschumbi sichert mich beim Durchsteigen mit dem Eispickel. Am Fuße des Eisbruches breche ich, bereits in Sichtweite des Basislagers, durch eine Schneebrücke und stehe mit beiden Beinen in einem eiskalt dahinschießenden Gletscherfluss: Wirklich, noch so ein "verdammter Tag"! Dieser verdammte Tag bricht über uns herein, als mein Bergsteigerkamerad, Bruce Campbell-Watt, zwischen Amphu Laptsa und West Col im Hongu eine gefährliche Spätform der akuten Höhenkrankheit, ein Lungenödem, entwickelt. Diese tödliche Bedrohung tritt trotz einer vierwöchentlichen Anpassungsperiode in Höhen zwischen vier- und sechstausend Meter im Cho Oyu- und Everestgebiet auf. |
Der Hongu-Gletscher: Nach der Besteigung des West Col kehrten
wir zum West Col Base Camp zurück: Blick nach Nordwesten
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Durch Bruce Campbell-Watts schwere Erkrankung waren wir gezwungen, den West Col und Sherpani Col als Zugangsroute zum Makalu Base Camp aufzugeben. Ich diagnozierte Bruces Höhenkrankheit als ein lebensbedrohendes Lungenödem. Der einzige Ausweg, der uns blieb, war, so schnell wie möglich in das Hongu-Tal hinein abzusteigen, um Höhen unter 5 000 m zu erreichen. Danach mussten wir wieder auf den Mera La 5 420 m hochsteigen. Bruce musste über große Strecken von unseren Trägern getragen werden, ein Tortur für alle Beteiligten.
Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
In abgelegenen Himalayagebieten wie dem Hongu gibt es keinerlei
Benachrichtungsmöglichkeiten und natürlich auch keine ärztliche Hilfe. Der einzige
Ausweg ist in unserem Falle der Abtransport des todkranken Mannes, der eigentlich in die
Intensivstation eines Krankenhauses gehört hätte, von fast 6 000 Meter auf knapp
5 000 Meter, dem tiefstmöglichen Punkt im Hongu, ehe wir wieder aufsteigen müssen.
Dieser alptraumhafte Abstieg geschieht unter schwierigen alpinistischen Bedingungen. Daß
unsere Expedition nicht mit einer Katastrophe endet, ist nur der Gnade der tibetischen
Götter zu verdanken. Neben der ständigen Bedrohung durch Krankheiten und Unfälle, was ohne Rettungsmöglichkeiten allein schon eine große seelische Belastung darstellt, gibt es noch andere Probleme auf einer Himalaya-Expedition. In einer Situation der ständigen Erschöpfung, in einer oft als feindselig empfundenen Extremumwelt reagiert der Mensch erheblich anders als in seiner gewohnten zivilisierten Umgebung. Das zeigt sich auf einer solchen Expedition besonders im sozialen Umgang zwischen den Bergsteigern. Konfliktsituationen sind fast immer unausweichlich. Die Enge des Zusammenlebens über Wochen und Monate in einer Umgebung von riesenhaften Dimensionen und kontinuierlichen Gefahrensituationen verursacht fast immer Spannungen, die während der Expedition kaum gelöst werden können. Psychologen, die sich mit solchen Problemsituationen auf Himalaya-Expeditionen befasst haben, sprechen von den drei physiologischen und psychologischen Phasen des Höhenbergsteigers. Die erste Phase ist das "Scheuklappenstadium". Es tritt normalerweise beim Anmarsch in das Basislager in Höhen bis zu 5 000 Meter auf. Auch in diesem bergsteigerisch problemfreien Stadium befindet sich der Bergsteiger in einer körperlichen und seelischen Stresssituation. Es sind nicht so sehr die ersten milden Anzeichen der Höhenkrankheit, die Blasen an den Füßen, die ständige Belästigung durch Blutegel, das kärgliche Essen, die normale Anstrengung auf miserablen, frustrierenden Fußgängerwegen, sondern Ängste, Sorgen und Zweifel. Jeder Bergsteiger ist geradezu eingesponnen in dieses Geflecht von quälenden Gedanken, die in der Furcht vor den bevorstehenden Grenzsituationen begründet sind. Die nächste Phase ist das "Sektpfropfenstadium", das in Höhen von 5 000 Meter bis 6 000 Meter aufzutreten pflegt. Normalerweise ausgeglichene, friedliche Typen entwickeln hier oft erstaunliche Jähzornanfälle. Man wundert sich immer wieder, woher man bei dieser dünnen Luft überhaupt die Kraft zu diesen Wutausbrüchen hernimmt. Man ist gut beraten, diese "Sektpfropfenanfälle" bei sich und anderen zu ignorieren. Sie haben wenig Bedeutung und weisen nur darauf hin, daß der geringer werdende alveolarische partielle Sauerstoffdruck die Gehirnzellen anzugreifen beginnt. Am gefährlichsten ist die Euphoriephase, das "Hallelujahstadium", das in großen Höhen, in der Todeszone, auftritt. In diesem Stadium verliert der Bergsteiger jeden Bezug zur Wirklichkeit und zu Können und Kondition der eigenen Person. Hier kann es geschehen, daß man in fast 7 000 Meter Höhe unangeseilt über einen spaltenreichen Gletscher läuft, wie es mir am Mera Peak passiert ist. Dann kommt es zu solchen unbegreiflichen Vorfällen, wie etwa das rational nicht zu erklärende Im-Stich-Lassen von Kameraden, zu rätselhaften Geschehnissen, die für so viele bergsteigerische Tragödien im Himalaya verantwortlich sind. Es ist durchaus möglich, daß diese in der menschlichen Seele begründeten Geschehnisse gefährlicher sind als das Wetter im Himalaya, als Lawinen und Gletscherspalten. Jeder Himalaya- Bergsteiger sollte sich dieser Zusammenhänge bewusst sein. Eine jede Expedition in den Himalaya ist in zwei Abschnitte aufgeteilt. Die erste Phase ist die langsame, sehr genau geplante Anpassungszeit. Sie wird durch die Notwendigkeit diktiert, sich systematisch an die immer größeren Höhen anzupassen, um das ernste und oft lebensbedrohende Problem der "Akuten Höhenkrankheit" zu vermeiden. Im Lager finden wir den schwer erkrankten Bruce Campbell-Watt vor, von dem wir am Morgen geglaubt hatten, er hätte nur einen Ruhetag nötig. Der West Col hat von uns seinen Preis gefordert. War er dies alles wert? Diese Frage hat sich mir im Angesicht der Riesenberge nie gestellt. Sie ist weder dort noch hier zu beantworten. |
Das Hongu-Tal südwestlich vom West Col Base Camp: Blick nach
Norden mit Amphu Laptsa und der Lhotse-Wand mit Mount Everest dahinter
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Es ist eine schwer angeschlagene Mannschaft, die sich vom West Col durch das Hongu Tal nach Süden herunter bewegt. Der Hongu ist eines der am schwersten zugänglichen, völlig menschenleeren Wildnisgebiete des ganzen Himalaya. Wegen der Abgeschiedenheit des Hongu gibt es hier nicht einmal Yakweiden, wie sonst überall im Himalaya unterhalb von fünftausend Meter. Die einzigen Zugänge sind vier schwierige Bergübergänge, die allesamt etwa sechstausend Meter hoch sind, der Mingbo La im Nordwesten, der Amphu Laptsa im Norden, der West Col im Nordosten und der Mera La im Südwesten. Dem Flusslauf des Hongu Drangka kann man nicht folgen, da sich der Hongu Fluss in einem Gewirr von senkrechten, mehrere tausend Meter tiefen Schluchten verliert, eine Landschaft, die sogar die Sherpa von der Besiedlung abgehalten hat. Wir brauchen für den Abstieg von 6 350 Meter am West Col, bis zum tiefstmöglichen Punkt im Hongu am Fuße des Mera La auf 4 700 Meter, fünf Tage. |
Das Hongu-Tal: Blick nach Südosten zum Chamlang
7 920 m
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Das Hongu-Tal: Wir brauchten fünf Tage, um das
Base Camp vom Mera La zu erreichen: Rechtes Photo: Blick nach Norden zum Amphu Laptsa und
Mount Everest
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Diese fünf Tage werden als bergsteigerischer Alptraum wohl für immer in meiner Erinnerung bleiben. In diesen fünf Tagen muß ich ständig mit dem Schlimmsten rechnen. Bruce hat ein Lungenödem, das ist mir völlig klar. Er ist völlig apathisch, will nicht laufen, ist blau im Gesicht und liegt immer wieder im tiefen Koma im Zelt. Nachts muß ich in unserer sargähnlichen Unterkunft stundenlang auf die entsetzlichen, brodelnden Geräusche in der Brust des Freundes lauschen. Man braucht kein Arzt zu sein, um die Symptome der lebensbedrohenden Krankheit zu erkennen. |
Das Hongu-Tal: Wir brauchten fünf Tage, um das
Base Camp vom Mera La zu erreichen: Eindrücke der Hongu-Landschaften und unserer Camps
zur Mera La Base
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Das Hongu-Tal: Bruce Campbell-Watt im Camp Nr. 3
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Das Hongu-Tal: Unser letztes Camp im Hongu ehe es
auf den Mera La ging
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Der Hongu mit seiner herrlichen, unerschlossenen Himalaya- Hochgebirgslandschaft, mit seinen vielen unbestiegenen, namenlosen Sechstausendern wirkt auf mich wie eine Mausefalle. In dieser ausweglos scheinenden Situation erwägen die Sherpa und ich die merkwürdigsten Ideen und verwerfen sie wieder. Wir wollen, zum Beispiel, unsere Träger in die Schluchten des Hongu absteigen und dort, bei Erreichen der Baumgrenze, Bäume fällen lassen, um eine Bahre zu bauen. Wir versuchen, Bruce in einem der Tragkörbe unserer Träger zu transportieren. Alle diese Ideen erweisen sich jedoch als nicht ausführbar. Bruce schleppt sich, von unseren zwei Sherpa Führern gestützt, mühsam dahin. Wir kommen viel zu langsam voran. Wir alle wissen, daß der Abstieg in tiefere Lagen unsere einzige Überlebensmöglichkeit ist. Ich muß den armen Bruce immer wieder erbarmungslos antreiben: "Lauf oder stirb". Für uns gibt es keine andere Alternative. Die furchtbaren Gedanken, Mitleid und Zorn werden sich in meiner Erinnerung immer mit dem Hongu verknüpfen. Wir erreichen den tiefsten Punkt auf 4 700 Meter. Es scheint Bruce wieder etwas besser zu gehen. Von hier aus müssen wir wieder hoch. Niemand macht sich große Illusionen, was das für den Höhenkranken bedeutet. |
Der Aufstieg auf den Mera La 5 420 m: Das zweite
Photo von rechts zeigt im Hintergrund den Mera Peak 6 740 m
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Unser Camp auf dem Mera La 5 420 m
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Der Aufstieg mit dem schwerkranken Bruce auf den
5 420 Meter hohen Mera La bei Schneesturm, Nebel und großer Kälte bringt uns an den
Rand unserer letzten Kräfte. Hier verirren sich sogar unsere Sherpa, ehe wir, in dem
tiefen Neuschnee kämpfend, unseren stürmischen, kalten Lagerplatz auf dem Mera La, der
von allen Seiten von Gletschern und Eisbrüchen umgeben ist, erreichen. Wir befinden uns
hier in der dem Monsun voll ausgesetzten ersten Himalayahauptkette mit den entsprechenden,
von den tropischen Stürmen phantastisch ausgebildeten Eis- und Gletscherformationen. Bruce und die Träger bleiben mit dem Chef-Sherpa, Dawa Thondup, nur eine Nacht. Bruce scheint es besser zu gehen. Es ist das Beste, wenn er so schnell wie möglich, in das tiefliegende Hinkutal absteigt. |
Der Aufstieg vom Mera La 5 420 m zum Mera Peak 6 740
m: Mera Peak im Hintergrund: Blick nach Süden
Copyright of Photo: Dr. Klaus Dierks
Der Aufstieg vom Mera La 5 420 m zum Mera Peak 6 740 m:
Rechte zwei Photos: Blick nach Osten
Copyright of Photos: Dr. Klaus Dierks
Aus meinen Tagebüchern der 1982-Trekking-Expedition
Ich bleibe mit Ang Tschumbi zurück, um noch den Mera mit seinen mehr als
6 500 Meter zu besteigen. Der Mera soll zwar kein technisch schwieriger Berg sein,
zumal ein langer Gletscher bis an die Eispyramide des Gipfels heranführt. Aber im
Himalaya ist in großen Höhen die leichteste Tour immer noch schwierig genug. Da wir
keine Träger und nur mangelnde Ausrüstung haben, um noch ein oder mehrere Zwischenlager
einzurichten, müssen wir an einem Tag knapp 1 300 Meter nicht nur hoch, sondern auch
wieder absteigen, was nicht leicht zu werden verspricht. Die schlechte Wetterlage 1982 und
der jetzt jeden Tag befürchtete Einbruch des Sommermonsuns, der für Mitte Mai erwartet
wird, macht die Besteigung des Mera zu einem schwer kalkulierbaren Unternehmen. In den
letzten Tagen begannen Schneestürme und dicker Nebel bereits um zehn Uhr morgens.
Trotzdem wollen wir die letzte Möglichkeit einer Besteigung, die sich unserer Expedition
in diesem Jahr bietet, nicht vorbeigehen lassen. So steigen wir schon um vier Uhr morgens bei Vollmondschein und alles erstarrender Kälte in den Eisbruch ein. Das geisterhafte Mondlicht schafft eine total unwirkliche Atmosphäre. Die bizarren, zerrissenen Eisformationen gaukeln surrealistische Schattenbilder auf die glitzernden, im Frost erstarrten Neuschneeflächen. Es ist so absolut still hier oben, daß ich das Gefühl bekomme, daß wir die ersten Menschen überhaupt sind, die diese Urstille aus dem Anfang aller Zeiten mit unseren, im Schnee knirschenden, Schritten brechen. Die Schneebrücken über dem hier sehr breiten und einige hundert Meter tiefen Eisschrund am Fuße des Eisbruches entwickeln durch den Tieffrost erhöhte Tragsicherheiten. Die leichten Vertiefungen und Rillen im Neuschnee, die auf die darunterliegenden, oft grundlos tiefen Gletscherspalten weisen, sind in dem plastischen Mondlicht gut auszumachen. Ang Tschumbi und ich wechseln uns beim Stufenschlagen in den steil geneigten Eiswänden, die zum großen Meragletscher hochführen, ab, so wie wir uns später beim Spuren im Neuschnee abwechseln. Als die Sonne in wilden, goldgelben Kaskaden ihre Strahlen in den noch tief schwarzblauen Weltraumhimmel wirft, sind wir schon auf dem langen Gletscher, der sich allmählig ansteigend, zum steil aufschwingenden Gipfelaufbau des Mera hochzieht, weit vorgedrungen. Ringsum stehen, in kristallener Schönheit, die zahllosen, meist namenlosen Eisgipfel des östlichen Himalaya. Die vielen eisbedeckten Riesen zwischen 6 000 Meter und mehr als 8 000 Meter branden wie Ozeanwellen gegen den Gipfel des Mera, auf den wir uns zu bewegen. Wir machen Seillänge um Seillänge, übersteigen dabei viele, sich in nicht auszumachender Tiefe verlierende Gletscherspalten. Der eisige Höhensturm nimmt später am Morgen wieder an Intensität zu, aber der Himmel, dem wir immer näher kommen, und die Berge ringsherum sind noch völlig klar. Nur weit im Osten, in Richtung Kangchendzönga, an der Grenze zwischen Sikkim und Nepal, dräuen die ersten Wolkenberge und quellen in den Tälern schnell in unsere Richtung. Je höher wir in die Eishänge des Mera Gipfels einsteigen, desto mehr neue Berge tauchen um uns herum auf. Es sieht jetzt so aus, als ob wir in gleicher Höhe mit dem fast 8 000 Meter hohen Nuptse liefen. Später sehen wir um uns herum die Gipfel von fünf Achttausendern, vom Cho Oyu im Nordwesten über Everest und Lhotse direkt im Norden zum Makalu im Nordosten bis zum etwas weiter entfernten Kangchendzönga, der mit seinen 8 598 Meter der dritt-höchste Berg der Welt ist. Der Aufstieg über die letzten Meter zum Gipfel, den wir um elf Uhr erreichen, kostet ungeheure Kräfte. Der Höhensturm, der bei völliger atmosphärischer Klarheit und durchdringender Kälte dahinrast, sowie der in der Sonne weich gewordene Schnee brauchen unsere letzten Energiereserven auf. Ich bin so erschöpft, daß ich nicht mehr reden kann. Alles wird gleichgültig! Die große Anstrengung, das keuchende Atmen überdecken alles. Aber das "Oben", der Gipfel, läßt alle Schinderei und tödliche Gefahren vergessen. Das erste Gefühl auf dem Gipfel ist das einer kolossalen Erleichterung, daß es nun nicht mehr bergauf, sondern nur noch bergab, geht. Das Glück, die überströmende Freude, der Stolz kommen erst Tage, zum Teil Wochen später an die Oberfläche. Wir halten uns dort oben nicht lange auf, da die schneebringenden Monsunwolken mit beängstigender Schnelligkeit aus Südosten hochziehen. Für mich bringt der Mera den Höhepunkt dieser für uns schwierigen Expedition, die schönste Aussicht, die man sich im Himalaya vorstellen kann. |
Aber im Himalaya sind Himmel und Hölle, Glück und Todesgefahr dicht beieinander. Das euphorische Hallelujahstadium kann schnell in tiefe Niedergeschlagenheit und selbst willenlose Apathie, die zum Tode führen kann, umschlagen. Auf dem Rückweg vom Mera, immer noch überwältigt von dem, was wir erleben durften, sind wir unvorsichtigerweise nicht angeseilt. Es ist wieder dieser nicht zu erklärende euphorische Leichtsinn, der uns zu einem Tun verleitet, das jeder ernstzunehmende Alpinist ablehnen muß. Das Schlimmste ist vorbei, wir steigen ab, wir fühlen uns sicher. Normalerweise weiß man, daß unter solchen Bedingungen die Katastrophe geradezu vorprogrammiert ist. Als grundsätzliche Sicherheitsmaßnahme darf man sich auf einem nicht genau bekannten Gletscher nur angeseilt bewegen. Das gilt im verstärkten Maße noch für Neuschneeverhältnisse, die wir hier am Mera vorfinden und die die meisten Gletscherspalten verdecken.
Es kommt so, wie es kommen muß, und es geschieht ganz plötzlich, völlig ohne Warnung. Ang Tschumbi läuft etwa fünf Meter vor mir in unserer eigenen Spur, die wir beim Aufstieg getreten haben und die sich am Morgen als sicher erwiesen hat. Im Bruchteil einer Sekunde öffnet sich der Schneeboden unter ihm, und Ang Tschumbi ist in einer Gletscherspalte verschwunden.
Ich stehe wie erstarrt, kann es überhaupt nicht fassen, daß ausgerechnet uns so etwas passieren muß. Einen winzigen Augenblick später höre ich ein ersticktes Winseln aus der Tiefe heraus, dann nur noch das Sausen des Höhensturms. Im ersten panikbefangenen Augenblick gehen mir die furchtbarsten Gedanken wie photoelektrische Blitze durch den Kopf: "Gefangen in der Spalte; tot; wir haben keine Chance mehr; Ang Tschumbi hat das Seil; da bekomme ich ihn nie heraus, wenn er überhaupt noch lebt; wahrscheinlich ist er verletzt; wenn Ang Tschumbi tot ist, bin ich es auch, einige Stunden später, denn ich bin ja dann ganz allein hier in fast siebentausend Meter Höhe; hier komme ich nie alleine herunter; Gebete, Versprechen an Gott." Auch diese Gedankenblitze dauern ganz sicher nur Bruchteile einer Sekunde, aber dann werde ich ganz gefasst und ruhig.
Eine furchtbare, angstbefangene Zeiteinheit später taste ich mich an die Spalte heran, schaue von eisiger Furcht ergriffen in die grauenvolle, blau-grüne Tiefe der bodenlos wirkenden Eisspalte. Dort sehe ich, zu meiner grenzenlosen Erleichterung, Ang Tschumbi, lebend, der in etwa zehn Meter Tiefe kauert und nur einen nicht zu definierenden Angstlaut ausstößt. Trotz der verzweifelten Situation, in der wir uns beide befinden, hat Ang Tschumbi das Glück seines Lebens. Er fiel auf eine sehr zerbrechlich wirkende Eisbrücke, die sich wie ein unregelmäßiger Glasbogen zwischen den glatten Eiswänden der Gletscherspalte spannt. Da die Spalte, nach oben hin enger werdend, abgeschrägt verläuft, kann er trotz der Steigeisen an den Füßen nicht alleine hochklettern und sich so aus seinem Eisgefängnis befreien. Ang Tschumbi hat das Seil, und ich muß probieren, irgendwie an das Seil heranzukommen. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wie lange wir gekämpft haben, bis es gelingt, daß ich endlich ein Seilende in der Hand halte. Nachdem ich mich selbst gesichert habe, kann ich den armen Ang aus seiner eisigen Hölle befreien.
Wir sind zwar im Augenblick gerettet, aber vor uns liegen noch genügend Qualen und Gefahren. Inzwischen ist nämlich der schneedurchwirbelte Monsunnebel so dicht geworden, daß wir keine zehn Meter weit sehen können. Der Abstieg über den spaltenreichen Gletscher ist für uns eine einzige unheimliche Schreckenswanderung. Die Spalten sind da, aber man sieht sie nicht. Die Angst vor den Spalten läßt mich nicht mehr los bis wir den Eisbruch erreicht haben. Wir sehen auch hier nichts und taumeln nur noch erschöpft abwärts. Die Götter des Himalaya zeigen uns jetzt, daß man mit diesem Gebirge nicht spielen kann. Vielleicht haben wir den Bogen überspannt und werden nun aus dem Heiligtum verjagt.
So erreichen wir unser zurückgelassenes Zelt im Mera Basislager. Am nächsten Morgen steigen wir über den unteren Mera Gletscher in das Hinkutal ab. Wir steigen zurück ins Leben, in die Welt der Menschen. Die Welt dort oben ist keine Welt für Menschen.
Wird fortgesetzt und ist im Aufbau